Diese kostbaren Augenblicke

275 Jahre Staatsoper Unter den Linden

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Carl Hanser
erschienen in: das Orchester 05/2018 , Seite 60

Ein auf Pergamin gedruckter Fries mit den Reliefs des Apollo und seiner neun Musen umhüllt als Schutzbanderole den unteren Teil dieses Prachtbandes zum 275. Bestehen der Berliner Staatsoper. Er krönt die Portikus-Inschrift „Fridericus Rex Apollini et Musis“ und macht neugierig auf die Einlösung des Buchtitelversprechens. Ein gewagtes Unterfangen für die zahlreichen Autoren, jene magischen Momente in Worte zu fassen, die man im Musentempel erleben durfte. Für die faktenreiche, fachlich fundierte Aufbereitung haben sie ganze Arbeit geleistet und flott zu lesende Texte geliefert. Ihnen zur Seite gestellt sind zahlreiche historische, teilweise erstmals publizierte Abbildungen von Gemälden, Kupferstichen, Lithografien, Bühnenbildentwürfen, Sängern, Dirigenten, Komponisten…
Gelungen die Idee, den neun Musen und ihrem Anführer je ein themenspezielles Kapitel zuzuordnen. Doch nicht immer lassen sich Kapitelinhalt und Musenaufgaben glaubhaft verbinden. Dabei folgt die Edition einem einheitlichen Schema: Jedes Kapitel beginnt mit einem Musengemälde, dazu passendem kurzen Vers zumeist aus antiker Quelle. Auf der nächsten Seite steht das Thema des nachfolgenden Beitrags nebst einem erläuternden Untertitel.
Zuerst darf Apollo (alias Chefdramaturg Detlef Giese) vom Knobelsdorff-Bau, dessen mehrmaligen Umbauten nach Bränden und Kriegs­einwirkungen berichten. Dann beginnt das Defilee der Schönheiten. Klio, für die Geschichtsschreibung zuständig, hat ihr Faible für Friedrich II., dessen Komponisten Graun (Montezuma) und die erste deutsche Primadonna (Schmeling-Mara) entdeckt. Urania (Astronomie-Patronin) verbreitet sich über Schinkel und sein Zauberflöten-Büh­nenbild, während Polyhymnia als Hüterin des Chorgesangs ein Loblied auf diese Theatersparte anstimmt. Terpsichore wiederum denkt über den Haus-Tanz nach, Erato lobpreist als Muse der Liebesdichtung die Frauen in der Oper, Kalliope weiß viel über den Dirigenten Erich Kleiber, seinen Einsatz für die Moderne (Wozzeck-Uraufführung) und das Starwesen im Opernbetrieb. Tragödienchefin Melpomene blickt auf Heinz Tietjen und die Nazi­zeit mit ihren Folgen fürs Opernensemble, während Komödienbeauftragte Thalia ein Hohelied auf Rossini und die Berghaus-Inszenierung des Barbiers von Sevilla anstimmt. Als letzte der Neunertruppe liefert die Musikzuständige Euterpe einen Hymnus auf Daniel Barenboim und den Klang seiner Staatskapelle Berlin.
Schade nur, dass dem Jubelband mit seiner umfangreichen Chronik ein Personenregister fehlt, die für den täglichen Opernbetrieb unentbehrlichen zweiten Kapellmeister unerwähnt bleiben, dem Sängerensemble der 1920er bis 2000er Jahre bis auf wenige Ausnahmen nur wenig Interesse entgegengebracht wird. Nicht gerade seriös die tendenziösen Wertungen über „die ideologische Straffheit und künstlerische Randständigkeit während der Jahre der DDR“ und das weitgehende Weglassen von renommierten Sängern, Choreografen, Tänzern aus jener Zeit. Ach ja, die „kostbaren Augenblicke“ halten sich in Grenzen.
Peter Buske