DIE ZEIT Klassik-Edition
lesen & hören 01: Yehudi Menuhin, mit CD
Die Person von Yehudi Menuhin dürfte jedermann vertraut sein: ein großer Violinist, Allround-Musiker und friedensstiftender Weltbürger. Ihn zum Auftakt einer 20-bändigen Buchedition der Wochenzeitung DIE ZEIT zu wählen, ist naheliegend. Von den meisten der ausgewählten Künstler (in kommenden Bänden u.a. Maria Callas, Pablo Casals, Dietrich Fischer-Dieskau, Wilhelm Furtwängler, Herbert von Karajan, Mstislav Rostropowitsch, Elisabeth Schwarzkopf) existieren Biografien oder sogar Autobiografien. Viel Neues kann also nicht mehr anstehen. Bei den feindlichen Konkurrenten Furtwängler/Karajan wird allerdings auf die Akzentsetzung von politischer Historie und persönlicher Animosität zu achten sein.
Mit 64 Seiten wie bei Menuhin ist der Anspruch einer umfassenden Biografie per se nicht zu erfüllen (vorhanden allerdings ein kurzer Lebensabriss). Der Verlag gestattet sich überdies die Konzentration auf Autoren, welche der ZEIT eng verbunden sind. Da dieses eigenwerbende Auswahlprinzip nicht kaschiert wird, ist dagegen nichts einzuwenden, schon wegen der Qualität der Texte. Ob eine bebilderte Notiz von der Offensive Menuhins und anderer Künstler gegen RocknRoll gleich zwei Seiten hätte aufzehren müssen, sei allerdings bezweifelt wie auch die Notwendigkeit von Konzerteinführungen für die Musikbeispiele der beigefügten CD.
Yehudi Menuhin war Grenzgänger und Grenzsprenger. Für einen Geiger, in dessen Repertoire das klassische uvre grundsätzlich dominierte, war die Künstlerfreundschaft mit dem Jazzgeiger Stéphane Grappelli oder dem indischen Sitar-Spieler Ravi Shankar schon etwas Ungewöhnliches, vielleicht sogar Befremdliches. Heute ist, etwa bei Gidon Kremer, Crossover eine Selbstverständlichkeit. Zwänge zu popularistischer Selbstdarstellung mögen in Einzelfällen eine (nicht unbedenkliche) Rolle spielen. Absichten dieser Art lagen Menuhin allerdings denkbar fern. Auch seine politischen Aktivitäten entsprangen stets einem humanen Impetus, wie der frühe Schulterschluss zu Wilhelm Furtwängler nach 1945 oder die idealistischen Äußerungen zu einem Miteinander von Israel und Palästina belegen.
Erfreulicherweise unterdrückt das Menuhin-Buch nicht jene Kritiken, welche die Karriere von einem Wunderkind (der 16-Jährige spielte Edward Elgars Violinkonzert unter Leitung des greisen Komponisten für die Schallplatte ein) hin zu einem Geiger von durchschnittlicher Qualität (zitiert nach Wikipedia) beschreiben. Aufnahmen von Yehudi Menuhin gibt es freilich genug, um dies im Detail zu überprüfen und vermutlich zu widerlegen.
Matthias Norquet