Mozart, Wolfgang Amadeus
Die Zauberflöte
2 DVDs
Den Mitschnitt eines großen Abends bietet diese Zauberflöten-DVD der Berliner Philharmoniker. Die Produktion entstand Ende März/Anfang April 2013 im Festspielhaus Baden-Baden, wohin die einst in Salzburg von Herbert von Karajan begründeten Osterfestspiele in diesem Jahr wanderten. (In Salzburg führt hingegen die Sächsische Staatskapelle Dresden die Tradition weiter fort.) Das Besondere an dieser Aufnahme ist ein doppeltes Debüt: Erstmals dirigiert Chef Simon Rattle Mozarts Meisterwerk und erstmals spielen die Berliner Philharmoniker live die Zauberflöte, informiert das Booklet. Die hochmusikalische Deutung durch das Toporchester ist bemerkenswert. Rattle bevorzugt einen klassisch-gelenkigen, dabei sinfonisch warmen Grundsound. Rasant gelingen vor allem die Aktschlüsse. Die Sänger sind hervorragend gewählt, so der lyrische Tenor Pavol Breslik (Tamino), die furios ihre Rachearie singende Ana Durlovski (Königin der Nacht) oder die innige Kate Royal (Pamina). Sämtliche Darsteller glänzen durch Spielfreude, allen voran Michael Nagy als Papageno.
Die Inszenierung besorgte der Kanadier Robert Carsen. Er verlegt die Handlung auf eine stimmungsvolle Waldlichtung. Überall Grün, selbst der Orchestergraben ist von Kunstwiese umrahmt. Darauf tummeln sich bereits zur Ouvertüre Chorsänger (Rundfunkchor Berlin) und auch Tamino. Kurz darauf wird dieser von allen in ein ausgehobenes Grab geworfen zu einer Riesenpython. Damit ist ein Grundsymbol des Abend angekündigt: der Tod. Die drei Damen treten als schwarz gekleidete Witwen auf, als
kämen sie gerade von der Trauerfeier. Auch in Sarastros Welt und seinem mit Särgen ausgestatteten Horrorkabinett unter der Erde gibt es nur in dunkle Mäntel gehüllte und mit Augenbinden versehene Totengräber oder Todesboten. Das zweite Grundsymbol ist der Eros. So ziehen sich die drei Damen am Ende ihres Eingangs-Terzetts bereits lustvoll die Röcke nach oben und streicheln den weiß gekleideten Tamino am ganzen Körper.
Carsen verwendet diese Symbole konsequent seine ganze fantasievolle Inszenierung hindurch. Er deutet Mozarts Oper tiefenpsychologisch, sieht in der Story sogar einen Eltern-Kind-Konflikt. Denn die Königin der Nacht und Sarastro sind ein Liebes- oder Ehepaar, das seinen Streit nur vorgibt. Mit den ganzen Riten und Mutproben sollen Tochter Pamina
und der künftige Partner Tamino getestet werden. Diese lösen sich aus dem matriarchalischen und patriarchalischen Prinzip. Am Ende liegen alle glücklich auf einer grünen Wiese und selbst der böse Monostatos wird als Ausdruck der humanitären Botschaft wieder in die Gesellschaft eingegliedert. Nur Vogelfänger Papageno setzt sich als Mischung aus Vagabund und Rucksacktourist optisch ab, samt Baseball-Cap und roten Socken. Zwischen dem reinweißen Liebespaar (Tamino-Pamina) und dem düster gekleideten Rest setzt er einen farbigen Akzent. Auch klanglich, denn seine Panflöte ist eine moderne Plastik-Melodica. Perfekte Kameraführung von Olivier Simonnet.
Matthias Corvin