Laurenz Lütteken

Die Zauberflöte

Mozart und der Abschied von der Aufklärung

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: C. H. Beck, München
erschienen in: das Orchester 9/2024 , Seite 64

Laurenz Lüttekens Untersuchung Die Zauberflöte. Mozart und der Abschied von der Aufklärung gehört mit Sicherheit nicht nur zu den spannendsten Beiträgen der letzten Jahre, sondern auch zu den profundesten. Lütteken entdeckt interessante Bezüge – und das bei einer Oper, die sicherlich zu den am besten untersuchten der Musikgeschich­te gehört. 2018 ist seine Abhandlung Mozart. Leben und Musik im Zeitalter der Aufklärung erschienen, in welcher er Mozart als eine Zentralfigur der Aufklärung vor dem Hintergrund der kunstästhetischen Situation darstellt. Aufgrund weiterer Recherchen versucht er nun, in seinem neuen Buch Zusammenfassungen, Erweiterungen und Ergänzungen vorzulegen. Lütteken räumt beharrlich mit tradierten Legenden auf. Manches ist schon bekannt, aber es ist immer wieder wichtig, darauf zu verweisen.
Lütteken geht von der These aus, dass „die Zauberflöte nicht etwa ein Rätsel ist, das einer wie auch immer gearteten Lösung zuzuführen ist, sondern […] einer detaillierten Dechiffrierung bedarf – vor dem Hintergrund des 18. Jahrhunderts“. Die Zauberflöte steht für ihn nicht im Kontrast zu den vorherigen Opern, sondern sie zieht Konsequenzen aus ihnen. Ein überaus wichtiger Aspekt, der auch zu übertragen wäre auf die vordergründig so seltsam aus der Zeit gefallene Oper seria La Clemenza di Tito, die Mozart fast zeitgleich mit der Zauberflöte komponierte. Mozart hatte, wie Lütteken einsichtig darstellt, dezidierte ästhetische Vorstellungen, nicht nur kompositorisch, sondern auch hinsichtlich des Librettos.
Schön der Hinweis auf Goethes Umgang mit der Zauberflöte, wobei schnell einsichtig wird, dass der „Dichterfürst“ damit überhaupt nichts anfangen konnte. Als dieser in Weimar die Theaterleitung übernahm, beauftragte er seinen Schwager Vulpius damit, den Text zu überarbeiten: „Das Originalstück hat gar keinen Plan.“
Was Laurenz Lütteken vorlegt, ist ein in sich vielschichtiger Streifzug durch die Noten- und Textlandschaft der Zauberflöte. Ob der Verfasser signalisierte Probleme gelöst hat, muss man selbst entscheiden. Wichtig scheint, dass Probleme auf den Tisch kommen, über die zu diskutieren sich lohnt. Dass ein großes Kapitel der Operngeschichte nicht abgehakt, sondern neu aufgeschlagen wird, ist nicht zuletzt eines der Verdienste dieses Buchs. Gegenüber den vielen nicht hinterfragten Plattitüden ist Lüttekens Buch ein wahres Antidot. Auch für Laien, die wissen, dass die Langsamkeit der Lektüre nichts mit Unbildung, sondern mit der Schwierigkeit des Gegenstands zu tun hat, ist das Werk sehr empfehlenswert.
Michael Pitz-Grewenig