Assmann, Jan

Die Zauberflöte

Oper und Mysterium

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Carl Hanser, München 2005
erschienen in: das Orchester 01/2006 , Seite 70

Dass das Mozart-Jahr seine Fänge unbarmherzig nach den Käufern ausstreckt, war zu erwarten, und so erscheinen dieser Tage dutzendweise Bücher – als ob in den vergangenen Jahrzehnten die Forschung brachgelegen hätte.
Jan Assmann war Ägyptologe an der Universität Heidelberg, sein Kollege Dieter Borchmeyer lehrt ebendort Neuere deutsche Literaturgeschichte und Theaterwissenschaft. Beide Autoren sind also renommierte Wissenschaftler, die in gemeinsamen Lehrveranstaltungen verschiedenste Themenbereiche diskutiert haben. Die beiden vorliegenden Bücher haben viel gemein: Nicht nur sind sie dem jeweils anderen Kollegen gewidmet, selbst in der Covergestaltung sind sie mehr als ähnlich – und sogar in der Gesamtkonzeption mit jeweils zwei Hauptsträngen finden sich Parallelen. Dabei überschneidet sich ihr Inhalt kaum – infolge vorheriger Absprache.
Assmann beschränkt sich auf die Untersuchung der Ägyptomanie und der freimaurerischen Hintergründe und Aspekte der Zauberflöte – und diese Untersuchung gerät, in ihrer Beschränkung, zu einer tiefgründigen Untersuchung der Wiener Freimaurerlogen und literarischer Quellen. Durch die Ausblendung des Volkstheaters, der Zauberopern und das weitgehende Beiseitelassen weiterer „ägyptomanischer“ Bühnenmusiken wie auch der Aufführungshistorie des Werks in der Mozart-Zeit bleibt allerdings manche Frage offen. Wie weitgehend hat etwa Thamos, König in Ägypten bereits auf Mozarts Ägyptenbild abgefärbt und wie sah es in der Musikgeschichte rundum mit anderen dem Freimaurertum nahe stehenden Werken aus, die wiederum Einfluss auf Mozart hätten ausüben können?
Natürlich sind dies Fragen, die ein Ägyptologe kaum genügend ausloten kann, und so ist klar, warum sie keine Beantwortung finden. Assmann folgt dem Lauf der Oper und befasst sich ausgehend davon mit unterschiedlichsten Aspekten des Werks – angefangen von der Exposition und dem „Handlungsort“ über die Mysterientheorie der Freimaurer mit dem zentralen Gedanken der Prüfung bis hin zur „Plot-Struktur“. So versteht man verschiedene Aspekte des Werks nach der Lektüre des Buchs in der Tat besser, insbesondere eben jene, die mit freimaurerischem Mysterientum zu tun haben.
Andere bleiben weitgehend offen. Warum etwa gehören die drei Knaben „zu beiden Bereichen [denen Sarastros und der Königin der Nacht] und verweisen dadurch auf die höhere, beide Sphären umspannende Ebene des Rituals“ (S. 126)? Was ist diese höhere Sphäre wenn nicht die Gemeinschaft von Tag und Nacht wie vor dem Tod von Paminas Vater? Das Problem des abwesenden (weil verstorbenen) Vaters und der sich hieraus ergebenden Komplikationen kommt eindeutig zu kurz, weil die Königin der Nacht zu schnell als (freimaurerisch gesehen) Personifikation des Aberglaubens festgemacht wird. Handelt es sich nicht vielmehr bei ihr um die durch den Tod ihres Mannes entwurzelte starke Frau, die in der Ehe gleichberechtigt war, doch durch das Vermächtnis ihres Mannes Sarastro untergeordnet werden soll? Viele Aspekte dieser Problemstellung nennt Assmann, doch habe ich den Zielpunkt in dieser Argumentation bei ihm nicht finden können – widerspricht er doch offenbar freimaurerischen Vorstellungen. Auch die verkürzte Deutung Monostatos’ als lüstern und brutal kommt zumindest Mozarts Intentionen nicht nahe genug – auch hier hätte die Betrachtung des exotischen Dienstgeistes und seiner genauen Funktion (man beachte die Parallele zum Osmin in der Entführung aus dem Serail) zusätzliche Aspekte ins Spiel gebracht. Die musikalischen Ausführungen, so gut sie gemeint sein mögen, sind nicht voll mit Assmanns Hauptsträngen verbunden und wirken dadurch eher illustrativ denn überzeugend.
Der Titel Mozart oder Die Entdeckung der Liebe schreckte mich zu Beginn der Lektüre etwas ab und der Klappentext tat leider nicht das Seinige, um die Zweifel zu beruhigen. Die vier (nicht, wie im Klappentext behauptet, sieben!) letzten Opern Mozarts sucht Borchmeyer in den historischen und biografischen Kontext ihrer Entstehung zu stellen und arbeitet in diesem Zusammenhang zwei Aspekte heraus: Zum einen befasst er sich mit der Liebe als verbindendem Element zwischen Paaren in der Gesellschaft der Empfindsamkeit – die Trennung von Liebe und Ehe wird aufgehoben. Stets mit speziellem Blick auf die Literaturgeschichte, etwa auf Lessing oder Schiller, werden Erkenntnisse in dieser Richtung deutlich vertieft. Die Betrachtung von Mozarts Opernfiguren selbst (und sie wären ja Teil der Betrachtung der Liebessituation, die Mozart beschreibt) erfährt jedoch viel zu selten eine Vertiefung. Überdies werden andere Aspekte von Liebe – insbesondere Elternliebe (vgl. S. 139 – hier hätte der Diskurs beginnen können) – nicht nur kaum diskutiert, sondern teilweise (im Fall der Königin der Nacht) sogar pauschal abqualifiziert: Dies nimmt dem Buch eine Qualität, die es bei diesem Titel hätte besitzen können.
Auch sonst finden sich leider immer wieder überraschend verkürzende Darstellungen, etwa im Kapitel über das Rasen aus Liebes- oder politischen Gründen; das Rasen als ausschließlich weibliches Phänomen darzustellen, scheint mir unangemessen. Wie kann man unter derartigen Prämissen den eifersüchtigen Masetto oder Guglielmo oder auch Don Giovanni, der nicht an seine Ziele gelangt, werten? Dies soll die hohe Qualität der monografischen Kapitel zu einzelnen Opern nicht mindern. Borchmeyers zweiter Hauptstrang – jener der Mozart-Opernrezeption in der Literatur – erweist sich wiederum als äußerst tiefgründig; seine Reflektionen auf die Don Giovanni-Rezeption in der Literatur, seine Ausführungen zu Goethe und der Zauberflöte, seine Äußerungen zur Mozart-Rezeption in jüngster Vergangenheit sind mit großem Gewinn zu lesen.
Beide Bücher sind in alter Rechtschreibung gedruckt, die Anmerkungen sind beide Male jeweils an das Ende des Buchs gesetzt, sodass man teilweise lange suchen muss. Während Assmann auch weiterführende Literatur nennt, sucht man Vergleichbares bei Borchmeyer vergebens. Während sich Borchmeyers Register auf Namen beschränkt und damit die Möglichkeit, nach einzelnen Opern im Speziellen zu suchen, verspielt, versucht Assmann durch weitere Register das Buch weitaus besser nutzbar zu machen. So kann man zwar bestimmte Fragestellungen pointiert suchen, doch man kann eben auch feststellen, dass manche für die Untersuchung relevanten Aspekte fehlen.
Jürgen Schaarwächter