Dümling, Albrecht
Die verschwundenen Musiker
Jüdische Flüchtlinge in Australien
Die Wege aus Nazideutschland emigrierter Musiker nach Amerika oder auch in andere Länder wie etwa die Türkei oder sogar China sind im Allgemeinen gut erforscht. Dass der am weitesten entfernte Kontinent Australien auch zum Zufluchtsort wurde, ist dagegen weitgehend unbekannt. Nun hat sich der Musikwissenschaftler Albrecht Dümling des Themas angenommen. Der Initiator der Ausstellung Entartete Musik und Mitbegründer der Bewegung Musica reanimata ist dafür legitimiert wie kein anderer. Durch Zufall lernte er einen deutsch-australischen Komponisten kennen, der sein Interesse an dem fernen Kontinent weckte. Mit Mitteln auch der Deutschen Forschungsgemeinschaft begann Dümling seine jahrelangen, teils an Ort und Stelle, teils durch Interviews mit Nachkommen ergänzten akribischen Recherchen mit einer geradezu besessenen Detailgenauigkeit, um auch wissenschaftlichem Anspruch zu genügen. So ist das Schicksal vieler Emigranten in der fernen Terra incognita in dieser umfangreichen Publikation dokumentiert.
Zwar war es leichter, nach Australien zu emigrieren als in die USA, doch hatte man dort nicht ausgerechnet auf deutsche Musiker gewartet. Das riesige Land brauchte Praktiker, Handwerker aller Fachrichtungen. Nur wenige konnten ihren erlernten Beruf ausüben und mussten sich mit anderen Arbeiten über Wasser halten, wenn sie überhaupt oft nur mit einem Touristenvisum eingereist bleiben durften.
Unmöglich, auch nur auf einen Bruchteil derer einzugehen, die hier zu Wort kommen. Die prominentesten waren die Weintraub Syncopaters, in den 1920er Jahren in Berlin eine berühmte Jazzband, populärer noch als die Comedian Harmonists, die unter anderem die Musik zum Film Der blaue Engel eingespielt hatte. Die Musiker wurden, nachdem ihnen schon wie praktisch allen Juden 1933 die Arbeitserlaubnis entzogen war, nach weltweiten Tourneen auch nach Australien eingeladen und spielten dort mit großem Erfolg und begeisterten Kritiken. Auch nur mit einem temporären Visum eingereist, war die beliebte Band zunächst geduldet, durfte auftreten und Geld verdienen. Als aber England, das Mutterland Australiens, in den Krieg gegen Deutschland eintrat, wurden drei der Musiker von der einheimischen Konkurrenz denunziert und als feindliche Ausländer unter schlimmsten Bedingungen interniert. Erst nach eineinhalb Jahren, nachdem die verbliebenen Kollegen schon eine eigene Band gegründet hatten, wurden sie entlassen, konnten aber nie mehr an die glorreichen Zeiten der Weintraub Syncopaters anknüpfen. Deutschlands bekannteste Jazzband hatte aufgehört zu existieren, und die Musikwelt hat nie wieder von den verschwundenen Musikern gehört.
Während in den USA die Emigranten das musikalische und überhaupt das geistige Leben entscheidend prägten, hinterließen die vielen Flüchtlinge in Australien wenig Spuren. Auch hierzulande gelang es nicht, die Erinnerung an sie wachzurufen. Es ist der Verdienst dieses Buchs, es wenigstens versucht zu haben, selbst wenn die Geduld des Lesers durch die Überfülle an Material auf eine harte Probe gestellt wird.
Ursula Klein