Näther, Gisbert / Karl-Hans Möller
Die verhexte Musik
Ein musikalisches Märchen
Das Deutsche Filmorchester Babelsberg legt so richtig los: Große Trommel, Piccolo, Triangel und was dazwischen klingen kann, spielt professionell, engagiert, rhapsodisch alles, was gut und teuer ist. Man hört Schostakowitsch, Mahler, Bernstein, Strawinsky. Es tanzen drei Hexen, und sie treten als musikalische Zauberdamen auf. Kinder werden diese Adaptionen zwar nicht goutieren können, aber das macht nichts, denn die Musik von Gisbert Näther ist einfach hörenswert und mitreißend und den Szenen angepasst.
Die Geschichte allerdings oh weh! Ob Karl-Hans Möller sein Werk jemals Kindern erzählt hat? Kindern, die empfindlichst reagieren auf falsche Töne? Da feiert Klanghausen am Liedbach sein 1000-jähriges Bestehen. Der lächerliche Oberkantor (warum muss dieses Lehrer-Lämpel-Image perpetuiert werden?) heißt Thomas Cruzianus Domsperling, der Oberbürgermaestro Ludwig Amadeus Bach. Noch peinlicher diese alte Schote vom Händel, den es gibt, um danach alle mit Liszt in die Haydn zu jagen.
Hört ihr Leute, es ist wahr/Unsre Stadt wird 1000 Jahr/1000 Jahre Sang und Klang/Mit Musik ein Leben lang. Solche Art Bekenntnislyrik wird zum Kanon rausgeputzt und soll in Track 26/27 zum Mitsingen einladen. (Wen eigentlich? Eine Schulklasse? Ein Kind zu Hause?) Ziemlich gewaltsam wird die Musik in Rhythmus, Melodie und Harmonie aufgeknackt durch die Hexen Takta-Bum, Tralala und Terziana Quintana. Es wird besonders darauf hingewiesen, dass Dur fröhlich und Moll traurig klinge, was wir in der musikalischen Früherziehung hinter uns zu haben glaubten. Auch ein Marsch, der beim Hören mit Papierrhythmen begleitet werden darf (und wie aufregend kann Papiermusik sein!), rettet nichts mehr. Wozu auch? Fazit: Dies ist eine gestelzte, peinliche Geschichte mit schöner Musik in einer anmutigen äußeren Verpackung.
Dass alles auch ganz anders geht, zeigt Arndt Schmöle, der Erzähler im Märchen vom Gestiefelten Kater. Hier wird auf Augenhöhe kommuniziert und man hat an keiner Stelle je das Gefühl, ein Erwachsener beuge sich zu Kindern herab in pädagogischer Absicht. Schmöle meint, was er sagt, und das ist sein Erfolgsgeheimnis. Er lässt Kinder erleben, dass nicht alle Spieler gleichzeitig tun können, was sie wollen, und er lässt jedes Mitglied des Quintetts sein Instrument vorstellen: Die Flöte spielt, wie sich eine Prinzessin unsterblich in einen jungen Mann verliebt. Hört mal! Das Horn erzählt vom König, der majestätisch in seinem prunkvollen Schloss herrscht. Das Fagott spielt sehr unheimlich von einem großen bösen Zauberer und der Klarinette hört man an, dass ihr Spieler einen jungen Mann gesehen hatte, der so traurig war, dass die Luft wehmütig zu klingen begann. Der Kater mit den Stiefeln wird der Oboe zugesellt und macht sich frohen Muts auf seinen Weg. Jetzt können wir mit unseren Instrumenten eine wunderbare Geschichte erzählen. Leitmotivisch wird erzählt voll musikalischer und sprachlicher Poesie: Das Fagott ist nicht immer der Großvater. Schmöle macht sich nie gemein mit dem jungen Publikum. Er führt sehr motivierend ein und dann erzählt er auf seine unverwechselbare Art, die zum Zuhören animiert, ein Grimmsches Märchen und die Musik erzählt mit. Hört mal, wie schön die Prinzessin ist! Hier geht es um Aussage und Wirkung von Musik in einer völlig unaufdringlichen Weise. Da rollt eine Kutsche, da pocht das Herz der Prinzessin. Und es geht auch mal unisono und mit Fingerschnipsen über in einen kleinen Bläserkanon. Die Fuge als tonmalerisches Pendant zum schnellen Entkommen muss gar nicht erwähnt werden, das lernen die Kinder noch früh genug.
Peter Francesco Marino komponiert mit Sensibilität und Witz. Er arbeitet mit seinem motivischen Material. Wunderbar, wie er die Räder der Kutsche rollen lässt oder uns in der Halle des bösen Zauberers mit geblasener Luft, klappernden Klappen, Flatterzunge und Glissandi in Schrecken versetzt und wie der Wald widerhallt vom Schreien der Sägen und Äxte! Eigentlich kennen wir das Märchen doch längst. Aber wir hören es mit völlig neuen Ohren! Denn dauernd geschieht Unerhörtes, Aufregendes. Und so soll es sein. Kein falscher Ton!
Bärbel Becker