Heinemann, Rudolf

Die Uraufführung

Eine satirische Erzählung

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: BUCH&media, München 2010
erschienen in: das Orchester 06/2010 , Seite 64

Während Anton Schriller im Stadtpark der von der ganzen Stadt herbeigefieberten Uraufführung eines berühmten Großkomponisten lauscht, setzt sich auf geheimnisvolle Weise direkt neben ihm der verbotenerweise dort parkende Jaguar des Sponsors in Bewegung – ohne Fahrer und bei ausgeschaltetem Motor! Aufgrund eines Hirnschadens hat Anton Schriller in Momenten äußerster Erregung ab und zu Bewusstseinsaussetzer; so auch diesmal: Mit einem Sprung hechtet er auf das Heck des Wagens und verschwindet mit ihm in der Abenddämmerung. Man findet ihn später schlafend und ohne Erinnerung in einem Blumenbeet…
Dies ist die absurde Ausgangssituation für Rudolf Heinemanns kritisch-komische Abrechnung mit der Musik- und Medienwelt. Publikum und Medien bejubeln die Autofahrt und Anton Schrillers Hechtsprung als gelungene Performance-Einlage. Die Polizei hat Schriller als Autodieb in Verdacht. Der Großkomponist, der durch verschiedene Hinweise des Autors deutliche Züge von Karlheinz Stockhausen trägt, distanziert sich empört von dieser billigen Störung seines Konzerts. Der Veranstalter, der für die Sicherheit der Uraufführung verantwortlich war und nicht zugeben darf, dass hier Unvorhergesehenes passiert ist, zeigt sich beeindruckt von diesem Event. Die Stadtoberen gratulieren dem Großkomponisten zu diesem grandiosen Einfall, weil sie sich den Zuschlag für die bevorstehenden Feierlichkeiten seines Geburtstags sichern wollen.
Rudolf Heinemann, unter anderem von 1969 bis 1981 Generalsekretär der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik und bis 2003 als Leiter verschiedener Musikredaktionen beim WDR tätig, zeigt auf unterhaltsame Weise, dass er weiß, wie es im Musikbusiness zugeht. Jeder bekommt hier sein Fett ab: karrieregeile Kulturpolitiker, sensationslüsterne Medienvertreter, eingebildete Komponisten, saturierte Orchestermusiker inklusive ihrer Gewerkschaftsvertreter (!) – und nicht zuletzt ein so genanntes Bildungsbürgertum, das jede Scharlatanerie zum Kunstereignis hochjubelt.
Satire? – Ja, gerne mehr davon, wenn es so gut gemacht ist wie hier!
Das Büchlein hätte somit ein großartiger Lesegenuss werden können – wenn der Autor sich nicht dazu entschlossen hätte, seine Geschichte mit einigen entscheidenden, äußerst unappetitlichen Details anzureichern. ­Anton Schrillers Gebrechen, das für seinen Aussetzer verantwortlich ist, stammt nämlich von einem Hirnriss, den er sich als Folge eines Superorgasmus nach dem Besuch „einer geheimnisvollen chinesischen Prostituierten“ zugezogen hat. Der Verdacht, dass der Autor (Jahrgang 1938) hier in die Untiefen der Altherren-Zote abgetaucht ist, lässt sich leider auch nach Beendigung der Lektüre nicht entkräften. Die ständige Betonung, welch geheimnisvolles Doppelleben Anton Schriller doch führe, weil niemand wisse, dass er in den Puff gehe; die softpornografische Darstellung des Bordellbesuchs zu Beginn der Erzählung – das ist von einer solch spießbürgerlichen Abgeschmacktheit, dass auch die Person des Autors daran Schaden nimmt. Die latente Frauenfeindlichkeit, die sich durch das ganze Buch zieht, macht die Sache keineswegs besser.
Satire? – Nein, nur abgrundtiefe Geschmacklosigkeit!
Rüdiger Behschnitt

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