Die Trompete des 20. Jahrhunderts
Werke von Eric Ewazen, Georges Delerue, Robert Planel und Henri Tomasi
Die Musik des 20. Jahrhunderts ist geprägt von einer Mannigfaltigkeit der Stile. Mit dem Erscheinen der Zwölftonmusik war eine 600 Jahre währende musikalische Entwicklung zu Ende gegangen, hatte sich ein Kreis geschlossen, der mit den mathematisch inspirierten Kompositionen der Renaissance begonnen hatte. Die doch recht andersartige musikalische Herangehensweise des Jazz inspirierte viele Komponisten zu jener Zeit. Mit der Wandlung von der Popularmusik der Swingära zur Kunstmusik des Bebop und seiner folgenden Stile wurden letztendlich die Grenzen der Stile vollends verwischt.
Die Kompositionen dieser CD geben ein gutes Beispiel dafür, dass sich zeitgenössische Musik nicht in Schubladen stecken lässt. Es kommt nicht von ungefähr, dass hier auch Filmkomponisten am Werk sind. Viele der zeitgenössischen Komponisten verdienen hier ihren Lebensunterhalt und lernen zwangsläufig, sich vieler Stile zu bedienen und sie zu verschmelzen. Macht es einen Unterschied, ob man einen Klang das erste Mal bei Strawinsky, Hindemith, Charlie Parker oder Monk gehört hat? Alle sind Kinder ihrer Zeit. Ein gegenseitiger Einfluss ist da unvermeidbar, und sei er unbewusst.
Waren frühere Jahrhunderte mit den Grenzen der Konsonanz befasst, so kann man feststellen, dass im 20. Jahrhundert die Dissonanz zur Norm wurde. Der Cluster als Grundakkord spiegelt die Spannung unserer Zeit. Das Wissen um die Kadenz wurde um das Wissen des Klangs oder gar akustischer Phänomene erweitert. So sind auch die vier hier zu hörenden Werke vor diesem Hintergrund am einfachsten zu verstehen. Allen gemein ist eine Tonsprache, die ihre Spannung aus dem Neben- und Miteinander von Dissonanz und Melodik zieht. So unterlegt Eric Ewazen anguläre Melodien mit Rhythmen in alterierter Harmonik, die bisweilen an Strawinskys Sacre du Printemps erinnern. Bei Georges Delerue hört man deutlich die bildhafte Tonsprache des Filmkomponisten. Ist die Melodik etwas trompeterischer und fließender als Ewazen, zeigt die Begleitung durchaus Ähnlichkeiten. Robert Planel beginnt sehr amerikanisch, einer Fanfare ähnelnd. Sein Werk ist insgesamt klassischer angelegt, nicht ganz so dissonant, offenbart mehr romantische Elemente. Der 2. Satz beginnt wie ein Barockwerk, um dann doch die Beziehung zum 20. Jahrhundert herzustellen. Man könnte sich diese Musik zum Film Quo vadis vorstellen.
Im Gegensatz dazu beginnt Henri Tomasis Heilige Woche in Cuzco fulminant, sie kommt angeflogen wie ein Tornado, um dann ganz in eine introvertierte Stimmung einzutauchen. Zerbrechliche Pianissimo-Passagen mit Dämpfer werden am Ende zu fanfarenartigen Trompetenklängen mit schwerster Dissonanz in der Begleitung, die auf dem klingenden hohen Es ihren finalen Höhepunkt finden. Was für ein Kraftakt für den Solisten!
Ein großes Lob gilt es Solotrompeter Pierre Kremer und dem Lettischen Philharmonischen Kammerorchester auszusprechen. Kremer spielt mit brilliantem Ton, grandiosem Elan und Flexibilität, kraftvoll unterstützt von einem gut eingespielten Orchester. Sie leisten wahrhaft vorzügliche Arbeit. Man wünscht sich mehr davon.
Mathias Engl