Schumann, Robert

Die Symphonien

5 Studienpartituren im Schuber

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 1993-2001/03
erschienen in: das Orchester 07-08/2004 , Seite 76

In gewohnt gediegener Form hat der traditionsreiche, um die Revision seiner Bestände konsequent bemühte Verlag die fünf Editionen vorgelegt – mittlerweile auch in einer eigenen Kassette. Allemal ist zu begrüßen, wenn Repertoirewerke neu überprüft zur Verfügung stehen, selbst wenn im Vergleich zum bisherigen Textstand sich nur wenige Änderungen ergeben. Bei den bekannten Fassungen der vier Sinfonien ist das der Fall, nicht jedoch bei der Erstfassung der vierten, welcher neuerdings wieder mehr Recht widerfährt – immerhin hatte Brahms für ihre Verteidigung eine schwere Verstimmung mit Clara Schumann in Kauf genommen; bisher war sie nur in einer Kompromissfassung des einstmaligen Gürzenich-Kapellmeisters Franz Wüllner zugänglich. Nun liegt, ausgezeichnet redigiert, die von Schumann 1841 liegen gelassene Version vor, nicht zuletzt eine Neueinladung zur Diskussion der Differenzen zur zwölf Jahre jüngeren.
Zwei Herausgeber, zwei Konzepte: Finsons „Critical Report“, dessen Arbeit nur eine Quelle, Schumanns Autograf, zugrundeliegt, ist nicht kürzer als Draheims kritische Berichte, obwohl dieser mit jeweils mehreren Quellen und einer komplizierten Gemengelage zu tun hat; auf deren Beschreibung verzichtet er. Die mögliche Begründung, das erschiene – nicht zuletzt angesichts geringfügiger Abweichungen vom bisher bekannten Textstand – überflüssig, lässt sich umkehren: Gerade weil es so ist, sollte bei einer neuerlichen Prüfung die bestätigende Rechenschaft über sein Zustandekommen obenan stehen. Selbst wenn der Auskunftswert einer Quelle eindeutig über denjenigen aller anderen gestellt werden könnte (was hier nicht der Fall ist) – Werke solchen Rangs sind nie so definitiv fertig gestellt, dass Rückversicherungen sich erübrigen und die Vorgeschichte nicht auch bei sorgfältigen Endredaktionen über das Gemeinte Auskunft geben könnten. Noch in der bestredigierten „Fassung letzter Hand“ stecken Momente einer Durchgangsstation. Hier blieben die Ansprüche eines „editorischen Großprojektes“ unerfüllt, als welches die Ausgabe vollmundig angekündigt ist; der Herausgeber behält seinen Wissensvorsprung für sich.
Damit unterstellt er einen Benutzer, den die den Text beglaubigende Quellenarbeit ebenso wenig interessiert wie das komplizierte Übereinander erster Aufführungen und Revisionen oder die Frage der normierenden Erstdrucke; den die ersten, rascheren Metronomisierungen der ersten Sinfonie oder Schumanns Unsicherheiten bei deren Eröffnungssignal ebenso wenig interessieren wie vermeintliche Kleinigkeiten. So etwa die häufig begegnenden Inkonsequenzen der Artikulation und Phrasierung (u.a. in der 1. Sinfonie, 3. Satz, Takte 9 ff. und an entsprechenden Stellen der 2. Oboe, später auch des Fagotts; ebenso im Finale, Takt 24 – Flöte gegen 1. Violinen; in der 2. Sinfonie u.a. gleich zu Beginn oder im Trio II, im 2. Satz, Takt 39: Viertel gegen Achtel; in der dritten Sinfonie, 3. Satz, Takt 5) oder der in Bezug auf die Grunddynamik oft unklare Gebrauch von f für sfz oder sf (z.B. in der 1. Sinfonie,
3. Satz, Takte 139 ff.). Die Problematik des Solo-Cellos in der Romanze der vierten Sinfonie – die durch die Quellen nicht gestützte Gepflogenheit reagiert u.a. auf seither vergrößerte Streicherbesetzungen – fertigt Draheim ebenso schnell ab wie die Bewertung der beiden Fassungen der Vierten, das Letztere nahezu auf eine alle Bemühungen um die Erstfassung beleidigende Weise.
Insgesamt erscheinen seine Ausgaben wenig reflektiert auf eine Endgültigkeit der Texte fixiert, welche durch ihr Zustandekommen ebenso widerlegt wird wie durch Defizite, auf die jeder aufmerksam Lesende und Musizierende stößt. Dieser sieht sich aufgefordert, bei den ausgezeichnet redigierten und kommentierten Partituren der Edition Eulenburg Rat zu suchen.
 
Peter Gülke

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