Bachtyar Ali
Die Stadt der weißen Musiker
Roman
Der Ton der Flöte zieht die Menschen an. Unwirklich und magisch zugleich ist der Klang, den Dschaladati lange mit seinem Lehrer geübt hat. Er liebt sein Instrument und dessen Wirkung, doch dann muss er seine musikalische Kunst verheimlichen, weil sie ihn im Krieg verraten würde. Dieser Krieg ist der Kurden-Konflikt im Irak und Iran, und so wechselt Bachtyar Alis umfangreicher Roman zwischen harter politischer Realität und der Leichtigkeit, manchmal auch Weitschweifigkeit eines orientalischen Märchens.
Der kurdische Autor, der seit 1995 in Deutschland lebt, lässt seine Geschichte von der Macht der Musik von zwei sich abwechselnden Erzählern und somit aus wechselnden Perspektiven schildern. Da ist Dschaladati, der junge Held, der seine Biografie, also die Wahrheit, aufgeschrieben haben will. Und da ist der Schriftsteller Ali Sharafiar, der aus dessen Leben Literatur, also etwas Schönes, machen will. Darüber streiten sich die beiden immer mal wieder und nach einem schön geheimnisvoll-verschlungenen Auftakt muss man sich im zweiten von fünf Büchern durch viel mystisches Geraune über die Musik, die Menschen auch übers Wasser gehen lässt, kämpfen.
Doch das ist das einzig Plakative in diesem von Peschawa Fatah und Hans-Ulrich Müller-Schwefe aus dem Kurdischen (Sorani) übertragenen Buch. Bachtyar Ali erzählt eine furiose Geschichte mit viel Atmosphäre, aber auch Ungewissheit und Angst, zwischen Schönheit und Schrecken, Poesie und Politik.
Dschaladati versteckt sich in der Stadt der Prostituierten, arbeitet als mieser Entertainer und gewöhnt sich mühsam seine musikalischen Künste ab (das zu lesen ist eine eigene Art von Folter). Immer wieder begegnet ihm die geheimnisvolle Dalia, die sich auf den Weg zu einem Keller voller Akten, die zugleich Seelen sind, macht.
Dschaladati wünscht sich eine Welt, in der die Musik das Töten stoppt und für Gerechtigkeit sorgt, aber Krieg und Folter flammen immer wieder auf. Der ihm vorbestimmte Weg soll ihn eigentlich in die Stadt der weißen Musiker führen, die Stadt der getöteten Schönheit, wo es eine Geigentränen-Straße und eine Weiße Flöten-Gasse gibt. Hier wird der junge Mann zum Boten, der die letzten Nachrichten der Opfer zu ihren Familien bringt. Bachtyar Alis Held wirkt dabei mal wie eine mythische Figur, mal wie ein Draufgänger, ist Philosoph und Kämpfer, wird selbst zum Opfer, aber auch zum Helfer.
Schließlich findet Dschaladati einen der Täter, Samir von Babylon, arrangiert eine Gerichtsverhandlung mit den Angehörigen der Opfer als Ankläger und Richter. Doch auch in diese harten Szenen lässt der Autor wieder das Märchenhafte einziehen, denn ausgerechnet Samir hat jene Flöte, die Dschaladati einst verloren hatte, und nimmt sie mit ins Grab. Den jungen Helden jedoch rettet auf wundersame Weise wieder die Musik: Er wird von seinen Gegnern gekreuzigt, doch der Ton der Flöte gibt ihm seine Seele zurück. Und so kann er endlich wieder seine magische Musik spielen und ihre Kraft an andere weitergeben.
Ute Grundman