Haydn, Joseph
Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze
In der Orchesterfassung mit zeitgenössischen Betrachtungen von Prof. Walter Jens
Nur mit wenigen Werken hat Joseph Haydn bei seinen Zeitgenossen einen derart großen Eindruck hinterlassen wie mit seinen Sieben letzten Worten unseres Erlösers am Kreuze, einer Auftragskomposition, deren Entstehungsgeschichte trotz Haydns eigenen Informationen lange Zeit unkorrekt dargestellt wurde. Das Opus war derart erfolgreich, dass der Komponist gleich mehrere Fassungen davon anfertigte: neben der originalen für Orchester, für die Karfreitagsfeierlichkeiten des Jahres 1787 im spanischen Cadiz geschrieben, eine weitere für Streichquartett und eine für Soli, Chor und Orchester. Einen Klavierauszug von fremder Hand autorisierte er außerdem ausdrücklich.
Zwei Neuveröffentlichungen des Haydn-Werks sind nun auf den Markt gekommen, wobei es sich bei der Einspielung der Oratorienfassung durch Frieder Bernius um eine Wiederveröffentlichung einer Intercord-Produktion aus den 1980er Jahren handelt. Der Kammerchor Stuttgart, der heute zu den führenden deutschen Chören zählt, beeindruckt auch in dieser älteren Einspielung mit einem homogenen und ausgewogenen Klang, mit großer Textverständlichkeit und ausdrucksvoller Darbietung. Frieder Bernius geht die Partitur dabei keineswegs übertrieben dramatisch an, sondern eher flächig, mit breiten Entwicklungen und sprechender Textausdeutung. Er setzt klagende und anklagende Akzente, aber auch kraftvolle, wenn es denn der Inhalt nahe legt. Das Württembergische Kammerorchester Heilbronn erweist sich als souveräner Begleitpartner, drängt sich nicht in den Vordergrund, weiß aber in solistischen Momenten musikalisch präsent zu sein. Das Solistenquartett passt sich in das Gesamtkonzept gut ein, wirkt ausgeglichen und interpretiert den Text schlicht, aber mit beredter Anteilnahme.
Eine andere Welt eröffnet ein Livemitschnitt von den Klosterkonzerten Maulbronn aus dem Jahr 2004: Hier musiziert die Bayerische Kammerphilharmonie unter der Leitung von Alan Buribayev die originale Orchesterversion, ergänzt durch Lesungen von Walter Jens. Dieser leitet die einzelnen Sonaten jeweils mit einer Meditation zu den Letzten Worten ein: Es sind dabei keine Kurzpredigten, sondern Texte, die den Bogen zur Aktualität spannen und durchaus nachdenklich machen. Die Bayerische Kammerphilharmonie präsentiert sich als ein frisch aufspielendes Kammerorchester, das in transparentem, nicht wie oft zu hören in softigem oder pastosem Klang die einzelnen Sätze kontrast- und spannungsreich darzubieten versteht. Alan Buribayev wählt zügige Tempi, lässt die Folge von langsamen Sätzen musikalisch nicht auf der Stelle treten. Scharfe Akzente und teils auch durchaus deftige Klänge würzen die CD, die mit einer geradezu rasanten Erdbeben-Darstellung endet. Nur wenige Störgeräusche und winzige interpretatorische Beeinträchtigungen erinnern an den Livecharakter der Aufnahme. Mit den von Walter Jens eindrucksvoll ausgebreiteten Gedanken zu den Erlöser-Worten ergibt die Aufführung des Orchesters eine spannende Gesamteinspielung.
Wolfgang Birtel