Haydn, Joseph

Die Schöpfung Hob. XXI: 2 / Die Jahreszeiten Hob. XXI: 3

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Profil PH07074, 2 CDs / PH07076, 2 CDs
erschienen in: das Orchester 12/2008 , Seite 68

Im ersten Moment meint man, etwas verpasst zu haben. Haydns Oratorien “Die Schöpfung” und “Die Jahreszeiten” unter der Leitung von Roger Norrington? „The Stuttgart Sound“ jetzt endlich für Haydn? Erst die nähere Inspektion der beiden Doppel-CDs bringt Klärung: Das muss etwas Älteres sein. Von 1990 stammt “Die Schöpfung”, von 1991 sind “Die Jahreszeiten”, beide Livemitschnitte aus dem Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie. Archivschätze gewissermaßen, die man offenbar für die Veröffentlichung zum rechten Zeitpunkt gehortet hat. Immerhin kommen die Einspielungen in ein Umfeld, in dem zwei spannende Aufnahmen der Schöpfung unter William Christie und Paul McCreesh erschienen sind.
Soll Norrington jetzt, mit fast 20 Jahren Verspätung, einen Wettkampf aufnehmen? Zumal sich sein Stil deutlich verändert und profiliert hat? Ehrlich gesagt: Diese Veröffentlichungen werden dem künstlerischen Standing des Dirigenten nicht mehr richtig gerecht.
Das trifft vor allem für “Die Schöpfung” zu. 1990 mag das alles eine Sensation gewesen sein. Norrington war damals schon radikal. Kammerorchester, Kammerchor, dazu Solisten mit schlanken, präzise geführten Stimmen: Das war wie ein Jungbrunnen für “Die Schöpfung”, die man sonst in „Festaufführungen“ mit deutlich größerem Volumen vorstellte. Norrington erreichte auch mit den modernen Instrumenten des Chamber Orchestra of Europe einen schlanken, genau konturierten, sinnfällig durchhörbaren Klang, ohne auf Kraft verzichten zu müssen. Alles ist in einer stimmigen Balance, die Solisten nehmen ihre Rollen ernst und wissen mit den Fragen des Stils umzugehen. Die Chöre sind Musterfälle an Transparenz und schierer Energie.
Aber William Christie ist Roger Norrington in allen Disziplinen in seiner Neuaufnahme mit „Les Arts Florissants“ meilenweit davon gelaufen. Er hat die Messlatte gelegt für das Maß an Kammermusik, das “Die Schöpfung” in sich birgt. Auf der anderen Seite zeigt Paul McCreesh mit den groß besetzten Gabrieli Players, wie symphonisch und unpathetisch zugleich Originalinstrumente den Festanspruch des Oratoriums transportieren können. Das ist heute „state of the art“.
“Die Jahreszeiten” kommen da deutlich besser weg. In gleicher Besetzung präsentiert Norrington dieses „Problemkind“ Haydns – er quälte sich mit dem streckenweise banalen Text Gottfried van Swietens mehr als zwei Jahre lang – als ein Werk von feiner Detailzeichnung und charmanter Klangabmischung. Es ist eines ganz anderen Geistes Kind als die impulsive, engagierte Schöpfung. Aber dafür trifft Norringtons Methode den richtigen Nerv, reißt das Stück heraus aus seiner Beschaulichkeit und bringt mit allen Musikern die Schönheiten zum Leuchten. Diese Veröffentlichung hat sich gelohnt. Aber etwas mehr Ehrlichkeit im Umgang mit dem mittlerweile „historischen“ Material wäre schon fair gewesen.
Laszlo Molnar