Heine, Helme / Reinhard Seifried

Die Schöpfung

Eine musikalische Erzählung, Buch mit CD/Partitur

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2005/06
erschienen in: das Orchester 09/2006 , Seite 90

Die Schöpfung: Wer verbindet diesen Werktitel nicht sofort mit dem Namen Joseph Haydns? Wenn der bekannte Kinderbuch-Zeichner und -Autor Helme Heine zusammen mit dem Münchner Dirigenten und Komponisten Reinhard Seifried eine eigene Schöpfung vorlegt, so wollen die beiden Autoren sicher nicht in Konkurrenz zu Haydns Oratorium treten. Ihnen geht es um eine für Kinder verständliche Darstellung des biblischen Stoff, die freilich genau wie Haydns aufklärerisch-optimistisches Werk den folgenden Sündenfall ausblendet.
Als eine Art geschickten Kunsthandwerker stellt Helme Heine seinen Gott vor, einen etwas klischeehaft gezeichneten weißbärtigen alten Herren, der sich im Atelier daran macht, Stück für Stück die bekannte Welt aufzubauen und zu beleben. Über den Schöpfungsmythos hinaus weitet sich die Erzählung zu einer kindgerechten Deutung des Menschenlebens zwischen Geburt und Tod: als eines Zusammenwirkens oder auch – im Fall von Krankheit und Tod – Streitens und Auseinandertretens dreier Wesen, nämlich Geist, Seele und Körper, vertreten durch Professor Kopf, der im Dachgeschoss wohnt, Rosi Herz, die im ersten Stock links zu finden ist, und schließlich Dick Bauch, dem der Keller überlassen bleibt.
Eine Doppelgeschichte ist es, die sich in großformatigen Bildern betrachten, in knappen Worten nachlesen und zugleich auch, mittels beigelegter CD, anhören lässt. Reinhard Seifried hat die einzelnen Stationen dieser Schöpfungs- und Lebens-Geschichte in eine fantasievolle Folge von Orchesterstücken umgesetzt und damit Helme Heines Schöpfungs-Erzählung (der Autor spricht die Texte selbst) eine wenn auch nicht sieben Tage, so doch 60 Minuten umfassende zeitliche Ausdehnung verliehen.
Für Kinder nicht zu kompliziert zu schreiben, zugleich für Erwachsene nicht zu einfältig: Das ist der Anspruch, den der Komponist sich stellt und den er auch einlöst. Eine konservative Ästhetik kommt hinzu: Seifried glaubt offenbar nicht, man könne die Kinder von heute nur noch mit Pop und Rock-Musik-Elementen ansprechen. Traditionsverhaftet kommt seine Musik im Tonfall von Kinder- und Volkslied, von Marsch und Walzer daher. Der kundige erwachsene Hörer wird sich mal an Humperdincks Abendsegen erinnert fühlen, mal an Schuberts Ländler-Seligkeit in einer Musik, die historisch bei Gustav Mahler Halt macht und allenfalls noch einen vorsichtigen Blick in Richtung von Prokofjews Neoklassizimus wagt.
Die gleichzeitig erschienene Partitur und die ebenfalls erhältlichen Stimmen geben dem Kenner genaueren Einblick in Seifrieds handwerklich gediegene Kompositionsarbeit, die ihr sparsames und einfaches Themenmaterial durch farbige Harmonik und eine nie dick auftragende Instrumentation abwechslungsreich gestaltet. Mit Sprecher und Orchester besetzt und vielleicht noch optisch ergänzt, dürfte sich diese Schöpfung gut für die Aufführung bei Kinderkonzerten eignen.
Gerhard Dietel