Kogler, Susanne / Andreas Dorschel (Hg.)
Die Saite des Schweigens
Ingeborg Bachmann und die Musik
Ingeborg Bachmann gilt als eine der bedeutendsten deutschsprachigen Autorinnen des 20. Jahrhunderts. Ihre Themen fand die Österreicherin in der Nachkriegszeit und in der Gesellschaft. Anfangs wollte sie Komponistin werden. Doch dann suchte sie ihre Ausdrucksformen in der Vermittlung von Sprache und Musik. Als sie an die Grenze zum Verstummen gelangte und damit an die Grenze der Welt , wählte sie die Musik als Metapher für Unsagbares und Mittel zur Transzendenz, artikulierte sie so Sehnsüchte und Utopien.
Dass ihr Werk nach wie vor große Aktualität besitzt, belegte das Symposium Wie Orpheus spiel ich auf den Saiten des Lebens
Ingeborg Bachmann und die Musik, das die Universität für Musik und darstellende Kunst Graz im April 2006 anlässlich des 80. Geburtstags der Dichterin veranstaltet hatte. Dankenswert schnell wurden die Beiträge gedruckt: 15 profilierte Autorinnen und Autoren äußern sich mit geballter Kompetenz international und interdisziplinär zum Thema. Sie greifen neue Aspekte auf, den Blick aus vielen Winkeln aufs Ganze richtend: die Gedichte, Libretti, Erzählungen, Hörspiele, Romane und Essays. Deren Beziehungen zur Musik und die der Musik angenäherte Struktur werden analysiert vom spezifischen Ton der Lyrik, der Melodie der Text-Komposition bis zur Polyfonie der Stimmen und einer Fülle von Anspielungen auf Musik sowie zu konkreten Musikzitaten in der späten Prosa (Susanne Kogler).
Die Aufsätze Transzendenz in der Musik (Beethoven, Wagner und Schönberg) und Zeit der Ariosi (Zusammenarbeit mit Henze) bündeln das eindrucksvoll. Aber die Autoren gehen auch den Schritt ins Allgemeine und thematisieren das Sprechen über Musik als vorantreibendes Moment der europäischen Musikgeschichte ebenso wie die Rezeption zeitgenössischer Werke. Die Titel von Symposium und Buch sind der Dialektik von Leben und Tod in Bachmanns Schaffen verpflichtet, sie markieren jenes Spannungsfeld zwischen Schweigen und Hoffnung, dem sie sich lebenslang ausgesetzt fühlte und dem sie nicht entkam.
Der erste Teil erhellt die philosophischen Grundlagen von Bachmanns Denken: Wittgenstein, Adorno, Bloch, Platon, die antike Mythologie, die Musikästhetik der Frühromantik. Die Musik als Metapher, die Musikalisierung der Sprache. Der zweite Teil analysiert die Rezeption ihrer Dichtung. Persönliche Kontakte spielen dabei eine Rolle vor allem die zwei Jahrzehnte währende Freundschaft zu Hans Werner Henze: ihre geistige Verwandtschaft und gemeinsamen Werke, die divergierenden Ansichten über die gesellschaftliche Funktion der Kunst. Doch ebenso ihr Einfluss auf Komponisten (Luigi Nono, Giacomo Manzoni, Moritz Eggert, Adriana Hölszky) und Maler (Anselm Kiefer).
Das Verdienst des anregenden Buchs ist es, die Rätsel Bachmanns weiter entschlüsselt und gedeutet zu haben. Der ambivalenten Dichterin ist nicht leicht beizukommen, sie entzieht sich immer, obwohl sie Gemeinschaft suchte: Die Leute wissen schon, dass man miteinander auskommen muss. Ich habe es wieder erlernt, aber ich gebe auch zu, wenn die Tür zufällt zu dem Zimmer, in dem ich arbeite, dann gibt es keinen Zweifel: Denken ist solitär. Alleinsein ist eine gute Sache.
Eberhard Kneipel