Schönberg, Arnold / Peter Schössow

Die Prinzessin

Mit einem Nachwort von Nuria Schoenberg Nono, hg. und mit einer Einführung in Leben und Werk des Komponisten versehen von Matthias Henke

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Carl Hanser, München 2006
erschienen in: das Orchester 12/2006 , Seite 81

In unserer auf die Schrift fixierten westlichen Zivilisation ist uns die eigene mündliche Erzähltradition weitestgehend verloren gegangen. Noch vor ein bis zwei Generationen war das anders: Ohne den heute allgegenwärtigen Zugang zu Massenmedien existierte durchaus eine lebendige Alltagskultur des Erzählens.
Auch Arnold Schönberg erfand für seine Kinder Geschichten. In ihrem kurzen Nachwort erinnert sich seine Tochter Nuria sehr lebendig an die von allen Kindern geliebten Erzählstunden des Vaters: „Heute noch sehe ich meinen Vater vor mir, wie er mit großem Vergnügen und Grimassen schneidend die Helden der Geschichte charakterisierte…“
Die Geschichte von der Prinzessin war eine der Lieblingserzählungen der Kinder, sodass Arnold Schönberg beschloss, sie auf Tonband aufzunehmen. Mit dem Nachlass gelangte die Aufnahme ins Arnold Schönberg Center nach Wien: „Die Idee, diese Geschichte als Bilderbuch zu veröffentlichen, entwickelten Carola und Matthias Henke während des Arnold Schönberg Festivals Ruhr, das 2004/05 in der Philharmonie Essen […] stattfand“, so die Erläuterung zu diesem Buch. Die Eigenheiten der gesprochenen Sprache wurden weitgehend beibehalten und hier zeigt sich, dass uns (Erwachsenen!) mit der Erzähltradition womöglich auch das Verständnis für die innere Struktur mündlich überlieferter Geschichten verloren gegangen ist.
Denn auf den ersten Blick wirkt die Erzählung seltsam ziellos, es fehlt die Pointe. Die Handlung mäandert ohne Richtung vor sich hin und endet unerwartet und abrupt. Tatsächlich hätte sie auch zu jedem anderen Zeitpunkt enden können. Spontanes Erfinden folgt eigenen Regeln: Diese Geschichte ist nicht am Reißbrett konstruiert, sie muss in jedem Moment mit neuen Ideen fortgeführt werden und hat sich den zeitlichen Gegebenheiten der Erzählsituation anzupassen. Nuria Schoenberg Nono erinnert sich, dass die Geschichten vor allem während des Essens erzählt wurden, um die Kinder zum Weiteressen zu animieren: „Denn nur solange man aß, ging die Geschichte weiter. Hörte man auf zu essen, war auch mit dem Erzählen Schluss.“
So endet auch Arnold Schönbergs Geschichte von der Prinzessin mehr oder weniger beliebig. Für das vorliegende Bilderbuch hat der Zeichner Peter Schössow die originale Gestalt der Tonaufnahme mit wenigen eigenen Sätzen ergänzt und die Handlung damit auf raffinierte Weise in einer Kreisform an ihren Anfang zurückgeführt. Wie im Kinderlied „Ein Mops schlich in die Küche“ verliert sich die Erzählung in einer Endlosschleife. Doch auch ohne dieses kleine Zugeständnis an die Verschriftlichung zeigt sich beim Vorlesen, dass für Kinder die Geschichte „funktioniert“: Sie lassen sich fesseln von den Dialogen der Prinzessin mit ihrem dummen Diener Wolf, der sehr schwer von Begriff ist, ständig zu spät kommt und einfach nicht versteht, welche Wärmflasche er der Prinzessin bringen soll, die sich beim Tennisspielen blaue Flecke geholt hat. Und auch die Erwachsenen entdecken beim wiederholten Lesen manche Raffinesse: dass der Wolf meint, er könne den blauen Flecken nur mit der blauen Wärmflasche beikommen – oder mit Fleckenmittel aus der Apotheke; dass Schönberg, der zur Zeit des Erzählens im Exil in den USA lebt, die Erzählung mit zahlreichen englischen Begriffen anreichert oder hintergründige Sprachspiele verwendet („Großmutter, beschaff mir was zu fressen, oder ich fress mich selber auf“)…
Am eindrücklichsten jedoch (für Kinder wie Erwachsene!) wird dieses Buch durch die unbeschreiblich schönen Zeichnungen von Peter Schössow. Jede Szene ist in einer eigenen, pastellgetönten Grundfarbe gehalten, bestechende Licht-und-Schatten-Wirkungen beleben die Bilder. Die Zeichnungen sind klar strukturiert und nicht überladen, dennoch lassen sich bei jedem neuen Hinschauen versteckte Details entdecken. Die Bilderbücher von Peter Schössow, der schon mit der Illustration von Goethes Doppel-Gedicht Meeres Stille und Glückliche Fahrt (ebenfalls bei Hanser erschienen) bewiesen hat, wie meisterhaft er literarische Vorlagen in Bilder umzusetzen versteht, gehören sicherlich zum Schönsten und Intelligentesten, was derzeit auf dem Kinderbuchsektor angeboten wird.
Nicht zuletzt bietet diese Neuerscheinung gleich zwei Bücher in einem: Peter Schössows Bilderbuch und Matthias Henkes Einführung in Schönbergs Leben und Werk, die mit ihrer klaren Sprache ältere Kinder wie auch Erwachsene anzusprechen vermag.
Rüdiger Behschnitt