Leopold, Silke

Die Oper im 17. Jahrhundert

Handbuch der musikalischen Gattungen Band 11

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Laaber, Laaber 2004
erschienen in: das Orchester 01/2005 , Seite 79

Mit der Herausgabe des neuesten Bands des Handbuch der musikalischen Gattungen wird ein Standardwerk zur Entstehung der Oper in Ergänzung zu den Bänden über das 18. bis 20. Jahrhundert nachgeliefert. Ähnlich wie in den anderen Bänden zur Gattung Oper werden werkanalytische Betrachtungen mit historischen und sozialgeschichtlichen Schilderungen sinnvoll verknüpft. Zahlreiche Notenbeispiele ergänzen den Darstellungstext. Sie zeigen stets nur das für das Verständnis unmittelbar Notwendige und sind entsprechend reduziert. Librettoauszüge und theoretische Texte werden im Original und in deutscher Übersetzung einander gegenübergestellt.
Die Verfasserin beschreibt zunächst – ausgehend von den zahlreichen Wegbereitern des 15. und 16. Jahrhunderts –, wie die Oper um 1600 entstand. Dabei betont sie die Bedeutung des Orpheus-Stoffes für die Herausbildung der Gattung und wendet sich somit von der personalen Konzentration auf Monteverdi ab: „Und auch wenn die Favola d’Orfeo auf vorhandenen Traditionen aufbaut, so ist sie doch eine Eigenschöpfung – der geglückte Versuch, Mythologie und lyrische Phantasie, antike Thematik und zeitgenössisches Theater, sprachliche und musikalische Ausdrucksformen, Tragödie, Komödie und Satyrspiel zu verbinden – und auch darin ein Modell für die Oper.“ Zusätzlich sei die Verbindung von arkadischem Milieu und Protagonisten aus der musikalischen Mythologie für die ersten Opernlibretti eine gelungene Kombination gewesen.
Silke Leopold zeichnet im weiteren Verlauf die rasante Entwicklung zu einer höfischen und kommerziellen Form kenntnisreich nach und stellt anhand zahlreicher Beispiele dar, wie die Oper sich mythologische, religiöse und literarische Sujets musikalisch anverwandelte.
Einen wichtigen Darstellungsschwerpunkt bilden Beschreibung und Vergleich der Ausprägungen des italienischen Gattungsmodells in Frankreich, England und in den Ländern des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation, wo jeweils eigene kulturelle Traditionen wirksam wurden. Hier kann man Operngeschichte als frühes Beispiel für interkulturelle Beeinflussungen erleben; ganz ähnlich wie die Weltmusik-Trends – wenn auch in anderen Dimensionen – die heutige Popmusik bestimmen.
Die französische Eigenart, Tanz und Musik in der Oper zu verbinden, kann auf die Verankerung im Hofzeremoniell zurückgeführt und der Tanzleidenschaft Ludwigs XIV. zugeschrieben werden. In den deutschen Ländern hingegen zeigte sich die Entwicklung der Gattung parallel zur politischen Struktur vielgestaltig, von einer „‚frühdeutschen Oper‘ – als handele es sich bei diesen Stücken um Urahnen von Webers Freischütz oder Wagners Lohengrin“ – könne laut Leopold keine Rede sein. Auch hier setzt sich die Autorin in erfreulicher Weise von althergebrachten Paradigmen ab.
Der Band hat ein sorgfältiges Lektorat durchlaufen und zeichnet sich insgesamt durch einen gut lesbaren Stil aus, der ohne den häufig so lästigen musikwissenschaftlichen Jargon auskommt.
Karim Hassan