Lüke, Corinna
Die Onlinepräsenzen deutscher Kulturorchester
Eine Bestandsaufnahme
Immer wieder wurden in den vergangenen Jahren Vorzeigeprojekte für digitale Orchesterarbeit präsentiert. Ob nun das permanent wachsende Angebot der Digital Concert Hall der Berliner Philharmoniker oder die Online-Bildungsangebote der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz in Ludwigshafen: Man möchte den Eindruck bekommen, dass die deutschen Orchester endlich gemerkt haben, welch enormes Potenzial die Online-Kommunikation mit ihren Anspruchsgruppen beherbergt. Doch wie steht es eigentlich um die breite Masse der deutschen Orchester? Wie präsentieren sie sich im Internet, welche Online-Angebote werden gemacht, mit welcher Zielsetzung und vor allem mit welchen Erfolgen?
Die freie Journalistin Corinna Lüke arbeitet unter anderem für die NDR Radiophilharmonie in Hannover. Sie untersuchte für ihre Schrift “Die Onlinepräsenzen deutscher Kulturorchester” die Online-Präsenzen von 124 Orchestern und zeigt damit neben all den Good- und Best-Practice-Beispielen dieser Tage erstmals in Gänze auf, was in der Online-Kommunikation von deutschen Orchestern als Standard gilt.
Ihrer Studie stellt die Autorin eine umfassende theoretische Einführung voran, in der sie ihre Forschungsfrage in die derzeitigen historischen und kulturpolitischen Diskurse einordnet und die Grundlagen von Public Relations (PR, deutsch: Öffentlichkeitsarbeit) für Orchesterbetriebe umreißt. Dabei nutzt sie insbesondere die Arbeiten von Dominik Ruisinger zur Online-PR von Wirtschaftsunternehmen als theoretischen Grundstock. Als Online-Präsenz versteht Lüke die Internetseiten der Orchester, die sie als zentrales Kommunikationsmedium in den Mittelpunkt ihrer Forschung rückt und hinsichtlich ihrer Informations-, Service-, Dialog- und Unterhaltungsangebote untersucht. Dabei offenbart sich, dass Orchester vor allem mit informativen Inhalten (Spielplan, Termine usw.) ihre Zielgruppen erreichen möchten. Die Auftritte sind jedoch häufig so textlastig und einseitig, dass kein Besucher lange gehalten wird. Auch in den von Lüke untersuchten Bereichen Service und Unterhaltung gibt es teils enorme Defizite: Audiovisuell oder gar unterhaltsam präsentieren sich die Kulturorchester im Internet in der Regel nicht. Interessant ist jedoch vor allem die Art, wie Orchester in den Online-Dialog mit ihren Zielgruppen treten, nämlich entweder gar nicht oder überraschend offen und fortschrittlich.
Corinna Lüke zeigt mit ihrer Arbeit, dass es im Jahr 2016 mehr Einsatz erfordert, um im Internet als moderner Orchesterbetrieb wahrgenommen zu werden. Zwar gibt es vereinzelt gute Ideen und in der Breite ein halbwegs professionalisiertes Auftreten der Orchester, doch um in der Kommunikation mit ihren Zielgruppen nicht noch weiter den Anschluss zu verlieren, müssen Orchester umfassend in ihrer Online-PR umdenken und endlich in Bewegung kommen. Das Buch von Corinna Lüke kann dabei eine wichtige Hilfestellung leisten, indem es bei der Annäherung an das Thema Online-PR unterstützt und sinnvolle Denkansätze bietet.
Tim Spotowitz