Brug, Manuel

Die neuen Sängerstimmen

Von Cecilia Bartoli bis Bryn Terfel

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Henschel, Berlin 2003
erschienen in: das Orchester 03/2004 , Seite 79

Der Autor kann auf eine weit verzweigte Hörerfahrung als Musikkritiker sowie auf beachtliche Literaturkenntnis zurückgreifen. Er hat sich aber auch auf dem Feld der Stimmtechnik umgesehen und kommt zu guten Charakterisierungen. Die Entwicklung der vergangenen Jahre beurteilt er zurecht kritisch. In der Tat geht es verstärkt um eine „Nivellierung von Stimmen und Timbre als Folge einer zunehmenden Fokussierung auf Schönheit und Sängertyp statt auf Persönlichkeit“ (S. 12).
Im Gegensatz zu Jens Malte Fischers grundlegendem Werk Große Stimmen von 1993 pflegt Brug einen sehr lockeren, zuweilen recht flapsigen Stil, der zwar ein Lächeln hervorrufen mag, aber der ernsthaften Charakterisierung im Wege steht. So schreibt er z. B. über den Erfolg von Salvatore Licitra: „Ein Star war geboren […] die Plattenbosse schmissen feixend die CD-Presse an“ (S. 95), oder über Anja Silja, dass sie „den Moralmuff aus der fränkischen Nierentischära“ pustete (S. 23), womit wohl Bayreuth gemeint ist. Magdalena Kozená nennt er „die schöne Erdbeerblonde“ (S. 30) und Juan Diego Flórez besitzt „Korkenzieherlocken und schwarze Knopfaugen“ (S. 32).
Daneben stehen hervorragende Urteile, etwa über Edita Gruberova, deren „wunderbar ausziselierte Portamenti und weich federnde Ritardandi“ (S. 51) er zurecht herausstellt. Weshalb die stimmlichen Probleme von Cheryl Studer so detailliert beschrieben werden, ist nicht ganz einzusehen, dagegen wird das kritische Urteil über Christine Schäfer durchaus verständlich. Cecilia Bartoli – die „Römerin mit den Kulleraugen gluckst, trillert, japst nach Luft“ – erfährt eine heitere Ironisierung. Neil Shikoff werden zu „Tönen gewordene Ausdrucksgesten eines echten Künstlers“ (S. 96) bescheinigt, wie auch Thomas Hampson ein großer Lobpreis gilt und Matthias Goerne „stimmgestisch zu erzählen“ vermag.
Wie Brug in der einleitenden „Abgrenzung“ betont, gehen die Meinungen über Stimmen oft weit auseinander. So wird Eike Wilm Schulte ein „leicht meckerndes Timbre“ (S. 136) und Kurzatmigkeit bescheinigt und auch Robert Holl zu negativ beurteilt. Den Stimmklang des versierten Liedersängers – unvergesslich sein Hans Sachs in Bayreuth – behält man durchaus im Ohr. Interessant, auch musikhistorisch gesehen, das Kapitel über Barockoper und Countertenöre mit dem Titel „Die neue Lust am Androgynen“. Andreas Scholl wird fast liebevoll dargestellt…
Dass Manuel Brug auf Aktualität Wert legt, ist ein großer Gewinn. Gelegentlich ermüden die zahlreichen Aufzählungen von Opernpartien, die die einzelnen Künstler gesungen haben, wobei es naturgemäß viele Wiederholungen gibt. Irritierend sind die Druckfehler: Chérubin statt Cherubini, Bolioz statt Berlioz, Luigi Ava statt Alva, Todi dal Monte statt Toti oder Dargomyschs statt Dargomyschskij.
Als hilfreich erweist sich das fast 100 Seiten umfassende Lexikon mit Auswahldiskografie.
Ingrid Hermann