Morbach, Bernhard

Die Musikwelt der Renaissance

Neu erlebt in Texten, Klängen und Bildern, mit über 80 Werken auf Audio+Daten-CD

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Bärenreiter, Kassel 2006
erschienen in: das Orchester 10/2006 , Seite 88

Der Kreis der Hörer Alter Musik ist in den vergangenen 20 Jahren erstaunlich groß geworden. In Berlin haben viele durch die Rundfunksendungen Bernhard Morbachs ihre Liebe zur Alten Musik entdeckt. Für Morbach ist Alte Musik seit den 80er Jahren ein zentrales Anliegen, nicht nur Hörvergnügen und Hörherausforderung, sondern eine ganze Welt mit vielfältigen Zusammenhängen. Nach dem ersten Band Die Musikwelt des Mittelalters legt er nun einen zweiten Band über die Renaissance vor. Dieses Buch ist ein Nachschlagewerk, ein
Lese- und Studienbuch. Doch es geht dem Autor um weit mehr als um Wissensvermittlung: Die Musikwelt der Renaissance soll „neu erlebt“ werden können.
Im Vorwort spricht Morbach die Grenzen heutigen Musikhörens an: Das ursprüngliche Erlebnis Alter Musik sei für uns verloren, zu viel habe sich in der Zwischenzeit geändert. Die Änderung unseres Musik-Erlebens beschreibt er im ersten Kapitel und zeigt, dass heutige Hörer in „Parallelwelten“ wie der der Alten Musik, Pop-Musik und außereuropäischen Musik zu Hause sein können.
Im Anschluss klärt Morbach Begriffe wie „Neues Musikerleben durch Alte Musik“, „Melodik“, „Mitteltönige Temperatur“. Er stellt die Frage, ob es überhaupt „Renaissancemusik“ gab oder man nicht besser nur von „Musik während der Renaissance“ sprechen sollte, und bringt dem Leser die neue Musikästhetik von Tinctoris nahe. Der Leser erhält dadurch das Rüstzeug, um die Musikwelt der Renaissance zu betreten. Morbach zeigt, dass die Musik in der Renaissance ein Teil des Lebens war, etwa des Hofzeremoniells oder der Liturgie. Er beschreibt die verschiedenen weltlichen Formen vom italienischen Madrigal bis hin zum spanischen Villancico, verfolgt die Anfänge der Instrumentalmusik zurück und widmet sich den Verbindungen von Musik und Tanz.
Neben dem umfangreichen Sachwissen, das Morbach in seinem Buch vermittelt, versteht er es, die Andersartigkeit Alter Musik herauszuarbeiten und den historischen Kontext, in dem sie erklang, deutlich werden zu lassen. Ihm gelingt auf eine sachliche, aber nie trockene Art, das Erlebnis Alter Musik zu wecken und zu vertiefen. Im Mittelpunkt steht immer die Musik, die in diesem Buch nicht nur beschrieben wird, sondern auch gehört werden kann; denn dem Buch ist eine CD beigegeben, die als Audio-CD angehört werden kann und als Daten-CD eine Fülle von Notenmaterial liefert. Wer also vom Text angeregt in die Tiefe gehen will, kann sich hier mit dem Notentext auseinander setzen und die klangliche Realisierung hören. Die Musik wurde über ein Keyboard eingespielt. Morbach liefert hier mit Absicht keine künstlerischen Interpretationen, sondern zeigt – gleichsam abstrahiert – den musikalischen Rohbau, den Ausgangspunkt für eine Aufführung. Dies erleichtert ein strukturelles und analytisches Hören.
Schon das Buch allein ist eine wertvolle Bereicherung. Durch die CD und durch deren Verknüpfung mit dem Text wird es zum Prototyp für ein modernes Musikbuch, das den Computer sinnvoll einbezieht. Alte Musik und moderne Technik, das ist hier kein Widerspruch, sondern eine zukunftsweisende Synthese.
Franzpeter Messmer