Claudia Woldt (Hg.)

Die Möglichkeit einer gewissen Distanz

Marek Janowski im Gespräch mit Carsten Tesch

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Schott Music, Mainz
erschienen in: das Orchester 9/2024 , Seite 65

Der Dirigent Marek Janowski ist kein Mann, dem man leicht nahekommt. Er wahrt die Distanz – zu seinen Mitmenschen, zu den Orchestermusiker:innen und zu Journalist:innen sowieso. Umso erstaunlicher ist es, dass der MDR-­Mo­de­rator und Journalist Carsten Tesch Janowski mehrmals zu Interviews treffen konnte. Aus diesen Gesprächen ist ein Buch entstanden, in dem Marek Janowski fassbar wird, in dem er aus seinem Leben erzählt und tiefe Einblicke in seine Arbeit gibt.
Sieben Interviews führte Tesch an Orten, die für Janowski prägend waren: in Dresden, mit dessen Orchestern den Dirigenten eine jahrzehntelange Geschichte verbindet, in New York, wo Janowski 2022 seine Lieblingsoper, Ariadne auf Naxos, dirigierte, in Paris, jener Stadt, in der Janowski mit Così fan tutte quasi über Nacht berühmt wurde, in Wuppertal, wo er seine Kindheit und Jugend verbrachte, und in Köln, wo er jahrelang mit der Kulturpolitik kämpfte und schließlich entnervt aufgab. Es ist ein Streifzug durch ein Dirigentenleben, in dem stets die Arbeit an erster Stelle stand und auf dessen Höhen und Tiefen Janowski mit großer Gelassenheit zurückblickt.
So etwa, wenn er über seine Feindschaft mit dem französischen Komponisten Pierre Boulez spricht, der in Janowskis Pariser Jahren sämtliche Pläne, die Janowski als Musikdirektor des Orchestre Philharmonique de Radio France verfolgte, ablehnte. „Ich konnte den Mann nicht leiden“, sagt Janowski und erzählt, wie er Boulez’ offensichtlichen Wunsch, mit ihm in einer Flughafenlounge ins Gespräch zu kommen, abwehrte, indem er sich hinter einer Zeitung verschanzte: „Das hat mir großes Vergnügen gemacht.“ Überhaupt finden sich immer wieder Anekdoten aus Janowskis Leben, z. B. wie er bei einer Aufführung der 9. Sinfonie von Beethoven einen Tuttischlag vergaß: „Das kommt schon mal vor, so ein Blackout.“
Im Mittelpunkt der Gespräche steht Janowskis Arbeit: sein Anspruch „klug zu proben“, seine Aufmerksamkeit für scheinbare Kleinigkeiten (etwa die Positionierung des Bogens bei den Geigen) oder seine Zurückhaltung, was Lob betrifft („Man sollte damit sehr ökonomisch umgehen“). Seine Aufgabe sieht Marek Janowski pragmatisch: „Es ist nicht so furchtbar wichtig, sich als Dirigent interpretatorisch an sich selbst zu entzünden. Es ist wichtiger, dass sich die Menschen im Saal an einer Interpretation entzünden.“
So entsteht das Bild eines Mannes, der sich nicht in den Vordergrund spielt, aber seinen Wert genau kennt, eines Menschen mit Bodenhaftung, der sich über Applaus „in einer bescheidenen Weise“ freut und dem Ruhm und Geld nicht allzu wichtig sind. Carsten Tesch ist Marek Janowski so nahe gekommen, wie es möglich ist – so nahe, wie Janowski es zugelassen hat.
Irene Binal