Wagner, Richard

Die Meistersinger von Nürnberg

Live-Mitschnitt aus dem Bayreuther Festspielhaus 2008

Rubrik: DVDs
Verlag/Label: Bayreuther Festspiele BF 1231978/Naxos, 2 DVDs
erschienen in: das Orchester 05/2009 , Seite 72

Ein goldener Hirsch wird zum Symbol für die Selbstbeweihräucherung einer Zunft. Dieser Kunstgriff ziert das Cover, er schwebt über der gesamten Inszenierung, in der Katharina Wagner so klar und augenscheinlich ihre Sichtweise mit aktuellem Bezug auf den Punkt bringt. Während der Préludes fährt die Kamera in geradezu entblößender Weise in allen Perspektiven über die goldene Skulptur – ein Fingerzeig auf entsprechende Auszeichnungen einer sich selbst feiernden Film- und Fernsehbranche. Mit dem Hirsch vor den Füßen singt Sachs dann von „welschem Tand“ und „heil’ger deutscher Kunst“, ein prägendes Schlussbild, das die problematische Geschichte dieses Stücks nicht ausblendet. Noch vor wenigen Jahren hatte Wolfgang Wagner alle Problematik einfach mit bunter Mittelalter-Folklore übertüncht. Und als Walther von Stolzing bei seiner Bewerbung für den Meistertitel ein Puzzle zusammensetzen soll, das im Stil alter Stiche die vieltürmige Stadt Nürnberg darstellt, setzt er die Teilstücke so auf die Tafel, dass die Türme nach unten zeigen: Er stellt die Welt auf den Kopf.
So wie Katharina Wagner in ihrer Inszenierung der Meistersinger-Welt: Walther von Stolzing wird zum alles mit weißer Farbe beschmierenden Hippie, Hans Sachs läuft barfuß und raucht Kette. Und Beckmesser ist dermaßen besessen von seinem Regelwerk, dass er es massenweise als Reclam-Ausgabe auf den Tisch stapelt. So wie Richard Wagner das Ständchen Beckmessers unterm Fenster der angebeteten Eva zur Lektion über die Dichtkunst verwandelt, so hat seine Urenkelin Katharina Wagner die Meistersinger zu einem konsequenten Diskurs über die Rolle der Kunst in der Gesellschaft umgedeutet. Die Katharinenkirche avanciert zur Kunstakademie, wo die drei Künstler in der Johannisnacht ein orgiastisches Event veranstalten. Bei ihrem Urgroßvater werde – so Katharina Wagner – aus dem liberalen Freigeist Sachs ein rückwärts gewandter Bewahrer, der aufrührerische Stolzing unterwerfe sich dem populären Geschmack. Nur Beckmesser wandelt sich von der lächerlichen Figur zum wahren freien Künstler.
Die Regisseurin führt an, dass die Meistersinger in Bayreuth in den Jahrzehnten seit 1945 „vom Schmiedefeuer der Werkstatt Bayreuth“ verschont geblieben seien. Sie habe die Oper in der heutigen Zeit verorten wollen, um deren Wirkung zu reflektieren. Und die erstmalige Idee der DVD-Produktion eines Live-Mitschnitts verwirklicht gewissermaßen Richard Wagners Idee der „Festspiele für alle“. Damit der Zuschauer die theatralischen Vorgänge aus verschiedenen Blickwinkeln und auch in Nahaufnahmen verfolgen kann, wurden für die Aufzeichnung sieben Kameras verwendet, die dem Bildregisseur Michael Dillmann zu jedem Vorgang sieben Bilder zur Auswahl lieferten. So entstand eine in Bild und Ton ausgefeilte Produktion, die Maßstäbe setzt für kommende DVD-Produktionen.
Christoph Guddorf