Jahrmärker, Manuela

Die Libretto- und Opernwerkstatt Eugène Scribe

Edition der Werkpläne 1815-1865, 4 Bde.

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Königshausen & Neumann, Würzburg 2015
erschienen in: das Orchester 12/2015 , Seite 70

Kein Druckfehler: Die vorliegende Studie umfasst fast zweieinhalbtausend Seiten! Diese enthalten das Ergebnis einer langjährigen, mit Akribie durchgeführten wissenschaftlichen Arbeit. Manuela Jahrmärker wirkt als Privatdozentin am Forschungsinstitut für Musiktheater der Universität Bayreuth (mit Sitz in Thurnau) und ist Spezialistin für das französische Musiktheater des 19. Jahrhunderts. Soll man eine Person benennen, die dieses Genre schlechthin repräsentiert, so kommt keiner der großen Komponisten, sondern nur jener universelle Librettist in Frage, dem das vierbändige Werk Jahrmärkers gewidmet ist: Eugène Scribe.
Natürlich begegnen wir bei der Lektüre des Buchs jenen Komponisten, die im Schmelztiegel Paris zu jener Zeit etwas zu sagen hatten: Rossini, Donizetti, Verdi, Gounod, Halévy, Offenbach, auch weniger bekannten Vertretern des Fachs wie Antoine-Louis Clapisson (im wahrsten Sinne ein Komponist zweiter Wahl, der nur dann Libretto-Angebote von Scribe erhielt, wenn renommiertere Komponisten abgesagt hatten), vor allem aber jenen beiden, deren Namen untrennbar mit demjenigen Scribes verbunden sind: Auber und Meyerbeer, Fra Diavolo, Die Hugenotten, Die Afrikanerin – Opern, die uns noch heute geläufig sind, Teile eines über hundert Werke umfassenden Gesamtœuvres, das zwischen 1815 und 1860 entstand.
Die Darstellung der Arbeitsweise Scribes ist Thema der vorliegenden Arbeit. Im Rückgriff auf Scribes Nachlass und weitere Quellen ediert und kommentiert die Autorin sämtliche greifbaren Opernentwürfe Scribes und unterscheidet methodisch zwischen Ideen – Notizen, in denen Scribe ein Sujet oder eine Szene knapp umreißt – und Plänen, also umfangreicheren Texten, die entweder beschreibenden Charakter tragen oder bereits in dramatisierter (d.h. dialogisierter) Form abgefasst sind. Interessanterweise traf Scribe nur selten Vorentscheidungen hinsichtlich des Genres. Mochte es sich um ein tragisches oder komisches Sujet handeln: Die endgültige Ausformung als „Opéra“ mit Rezitativen oder „Opéra-comique“ mit gesprochenen Dialogen erfolgte immer erst in Zusammenarbeit mit dem Komponisten. Scribe war mithin ein genialer Dienstleister, ein Theater-Profi, reich an Einfällen und zugleich haushälterisch im Umgang mit denselben.
In seiner vorliegenden Form – erschienen als Band 30/1 der „Thurnauer Schriften zum Musiktheater“ – ist Jahrmärkers Vierbänder etwas für Fachleute. Alle, die sich wissenschaftlich mit der Thematik auseinandersetzen möchten, werden das Buch zukünftig als Standardwerk estimieren. Normalsterbliche hingegen werden sich kaum in den Wälzer hineinlesen und dergestalt Zugang zur Materie finden können. Vielleicht findet die Autorin ja Gelegenheit, die Essenz ihrer Arbeit in die knappe Form eines „Ablegers“ zu gießen, der kurze Blicke auf die Vita Scribes richtet und – dies sei als Wunsch hinzugefügt – die französischen Zitate in den kommentierenden Texten in deutscher Übersetzung präsentiert.
Gerhard Anders