Steinecke, Hartmut

Die Kunst der Fantasie

E. T. A. Hoffmanns Leben und Werk

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Insel, Frankfurt/Main 2004
erschienen in: das Orchester 04/2005 , Seite 81

Die Vorzeichen könnten kaum gegensätzlicher sein, unter denen sich Peter Braun und Hartmut Steinecke mit Leben und Werk von E. T. A. Hoffmann befassen. Braun erzählt in eher romanhaft gehaltenem Ton Hoffmanns Leben vom Ende her, anschaulich, sehr lebendig, prägnant, mit dichterischen Ausschmückungen. Der renommierte Hoffmann-Forscher Steinecke, Mitherausgeber der jüngst abgeschlossenen E. T. A.-Hoffmann-Werkausgabe des deutschen Klassiker-Verlags, will seinen Lesern den ganzen Hoffmann mit all seinen Widersprüchen, aber auch den revidierbaren Vorurteilen der Hoffmann-Forschung präsentieren.
Brauns Biografie überzeugt durch Lesbarkeit, bringt den Menschen Hoffmann ebenso wie den Künstler näher, wenn auch der Musiker, besonders der Komponist, nur sehr oberflächlich dargestellt wird. So gelingt es Braun, eine durchaus packende Lebensbeschreibung eines Künstlers zu liefern, die aber gelegentlich im Klischee stecken zu bleiben droht. Wirklich Neues über E. T. A. Hoffmann darf man hier nicht erwarten und auch für eine tiefer gehende Gesamtschau ist der Band etwas zu kompakt geraten; doch dürfte dies für den Leser, der Informatives in gut erzählter Verpackung sucht, kein Hinderungsgrund sein.
Die Ansprüche, die Hartmut Steinecke an sich, aber auch den Leser richtet, sind da schon weitaus höhere. Die „Kunst der Fantasie“ stellt Steinecke in den Mittelpunkt seiner sehr akribischen, sich stets mit den Forschungsergebnissen zu Hoffmann kritisch auseinander setzenden Buchs. Das Wissen des Autors ist immens, er breitet es vor dem Leser zwar ohne professorale Attitüde, aber mit dem Anspruch auf wissenschaftliche Genauigkeit aus. Das gesamte Werk, also auch nichtliterarische Texte wie die des Juristen Hoffmann – dieser Brotberuf ernährte den allein durch die Kunst kaum Überlebensfähigen doch einen beachtlichen Teil seines Lebens – werden hier betrachtet. Wobei sich nicht nur bei Literatur, Bildender Kunst und Musik gelegentlich verblüffende Koinzidenzen ergeben.
Sehr akribisch verfolgt Steinecke die Entwicklung Hoffmanns, legt dar, wie vieles, auch manche literarische Schreibstrategien, die sich erst später manifestieren sollten, schon beim 20-Jährigen, sich zum Künstler entwickelnden Hoffmann angelegt sind. Die vielfältigen schriftstellerischen Projekte, ebenso das zeichnerische Werk, aber auch das Komponieren wird chronologisch aufgearbeitet, wobei ästhetische Vernetzungen immer wieder aufgezeigt werden. Wobei die Darstellung des kompositorischen Werks auch durch die Tatsache, dass der Autor Literaturwissenschaftler ist, trotz der Einbeziehung der musikwissenschaftlichen Fachliteratur nicht ganz die Stringenz zeigen kann, wie dies bei den literarischen Werken Hoffmanns der Fall ist.
Besonderes Interesse kann hingegen Steineckes Beschäftigung mit dem Korpus der juristischen Schriften Hoffmanns fordern, die üblicherweise im Zusammenhang mit dem Künstler Hoffmann kaum rezipiert werden. Die Ironie und der Verweischarakter, die er hier teilweise feststellt, sind für den Literaten wie den Juristen Hoffmann scheinbar grundlegende Eigenschaften seines Schreibens.
Wer sich über die Schreibtechniken Hoffmanns, seinen Anspielungsreichtum, die intertextuellen Bezüge seines Werks informieren will, der ist mit diesem gewichtigen Band bestens bedient, auch wenn Steinecke es seinen Lesern nicht immer leicht macht. Wobei er im Gegensatz zu vielen seiner Fachkollegen erfreulicherweise auf einen Wust von Fachausdrücken oder breit ausgewalzte Theorien verzichtet. Die Lektüre ist lohnend und kann neues Interesse an E. T. A. Hoffmann wecken.
Walter Schneckenburger

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