Kollo, René

Die Kunst, das Leben und alles andere…

Autobiografie

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Henschel, Berlin 2004
erschienen in: das Orchester 09/2004 , Seite 80

Autobiografien können ungewollt verräterisch sein. Wenn René Kollo zur Feder greift, improvisiert er ein bisschen. Er tut das mit viel Offenheit, beschönigt nichts und gibt Fehler und Schwierigkeiten unumwunden zu. Der Sprache – eher die Sprache einer Rede – fehlt es zuweilen an Eleganz, da gibt es keine innere Rhythmik und die Wortwahl wirkt oft zufällig, aus dem Augenblick geboren. Das könnte charmant sein, aber gelegentlich ermüdet es auch.
Natürlich ist er vom Vater geprägt, dem bekannten Operettenkomponisten Willi Kollo, den er als einen eher „aphoristischen Menschen“ bezeichnet, dessen Domäne die kleine Form gewesen sei. Er bescheinigt ihm aber auch „etwas Leichtfertiges und Verspieltes“, woraus er in Selbsterkenntnis folgert, dass „der Apfel nicht allzu weit vom Stamm“ gefallen sei. Manche Bemerkungen zu seinem Lebensweg entbehren nicht der Komik, so wenn er schreibt: „Ich laufe mittelgereift durchs Leben.“ Das ursprüngliche Berufsziel Schauspieler oder Kameramann entfiel. Dass er Opernsänger wurde, scheint reiner Zufall gewesen zu sein.
Große Hochachtung zeigt er gegenüber älteren Kollegen, was seine kritische Beurteilung des Nachwuchses und der Ausbildung erklärt. Die heutige Situation, da „in den letzten 40 Jahren aus Kultursubventionen Unterhaltungssubventionen wurden“, wird scharf angegriffen. Er spricht von „leidenschaftloser Routinearbeit“ und sieht das Ende der Oper nahe. In vieler Hinsicht schließt er sich Oswald Spenglers Buch Der Untergang des Abendlandes an, dessen Wahrheiten er heute bereits als realisiert betrachtet.
Dass „kein Komponist unserer Zeit eine große Rolle für einen Tenor geschrieben“ habe, soll nicht unwidersprochen bleiben. Man denke an Egks Peer Gynt (der Alte), an Brittens Peter Grimes (Titelpartie), Bergs Wozzeck (Tambourmajor), von Einems Dantons Tod (u. a. Robespierre und Desmoulins), Nonos Intolleranza (ein Flüchtling) oder an Henzes Il Re Cervo (König Leandro) und Der junge Lord (Titelpartie).
Mit Opernregisseuren von heute geht er hart ins Gericht und meint, dass bereits Felsenstein ein Irrtum gewesen sei. Karajan und Strehler sieht er als gleiche Typen, wobei er ersteren als „Machiavelli mit der Seele eines Kindes“ charakterisiert. Hohes Lob gewährt er Chéreau, der seiner Meinung nach im Bayreuther Ring „Bewegung, menschliche Beziehung und theatralische Momente“, also „richtiges Shake-
speare-Theater“, inszeniert habe.
Stimmlich scheint René Kollo ungemein empfindlich gewesen zu sein, was zu vielerlei Schwierigkeiten führte – etwa mit Wolfgang Wagner oder Solti, durch plötzliche Absagen bedingt. Mit Everding kam es zu Differenzen, weil er mit dessen Regiekonzept für Tristan und Isolde nicht übereinstimmt. Tatsächlich wurde gerade diese Inszenierung vielfach angegriffen. Aufführungen in der Originalsprache erteilt Kollo eine Absage und meint, das sei wohl schick, jedoch künstlerisch nicht vertretbar.
Über seine ein Dreivierteljahr währende Intendanz beim Berliner Metropoltheater berichtet er sachlich und ehrlich. Gegen Kritik wehrt er sich nicht; Chéreaus Urteil, er sei ein bisschen faul, akzeptiert Kollo, weil er Singen als „spannungsgeladene Ruhe“ beschreibt. Beispielhaft war für ihn in dieser Hinsicht Fritz Wunderlichs Interpretation der Arie des Lenski in Eugen Onegin, der sich dreieinhalb Minuten nicht rührte, aber durch tiefe Ausdruckskraft erschütterte.
 
Ingrid Hermann

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