Schnittke, Alfred

Die Kommissarin / Die Geschichte von einem unbekannten Schauspieler

Film Music Edition, Volume 1

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Capriccio 71 041
erschienen in: das Orchester 01/2006 , Seite 83

Im Werk Alfred Schnittkes nimmt Filmmusik mit mehr als 60 Partituren einen gewichtigen Platz ein. Frank Strobel macht sich verdient, Schnittkes ihm zugetragenen Wunsch zu realisieren, daraus Suiten für den Konzertsaal zusammenzustellen. Als erste CD einer Reihe mit Filmmusiken Schnittkes sind jetzt Sätze aus der Geschichte von einem unbekannten Schauspieler und der ungleich bekannteren Kommissarin erschienen (2001 hat Strobel bereits Suiten aus vier weiteren Filmen bei cpo vorgelegt).
Die für den Film typische, stilistisch große Bandbreite ist auch diesen Suiten eigen. Die sechs Sätze aus dem Schauspieler sind ästhetisch traditionell, das kantable Hauptthema basiert auf dem Malaguena-Bass. Mit Schnittkes Modell der Polystilistik hat diese Musik nichts gemein, da eine Konfrontation mit aktuellen Klangsprachen fehlt. Hingegen erscheinen diese in Kampf- und Marschmusiken aus der Kommissarin, stehen dann aber unvermittelt neben tänzerischen Sätzen, z.B. einer einen Spaziergang begleitenden Siciliana. Die Unmittelbarkeit, mit der Schnittkes Musik sehr geräuschhaft in das Filmgeschehen eingreift, kann die Konzertmusik nicht vermitteln. Solche Teile, wie z.B. die Schüsse imitierende Einleitung, sind dann in der Suite auch nicht enthalten.
Viele Sätze sind auch ohne Film musikdramaturgisch evident: Der jiddische Nign wird von einem Paukenostinato und Blechbläserclustern zerstört (Nr. 7, „Keller“), kinderliedartige Motive werden mit Mixturklängen, dem Verfahren in Schostakowitschs 7. Sinfonie ähnlich, fratzenhaft karikiert (Nr. 4, „Spiel“). Schnittkes Musik zur Kommissarin ist von hoher Qualität, in ihr wurde sogar der in der Filmmusik seltene Weg beschritten, eine zuvor geschriebene Konzertmusik einer Szene zugrunde zu legen: Ausschnitte aus seiner 4. Sinfonie führen die Protagonistin Wawilowa an drei verschiedenen Gotteshäusern vorbei (Nr. 1).
Strobels Dirigat ist unterschiedlich gelungen. Der Orchesterklang ist kompakt, zugleich recht transparent. Die Atmosphäre jedes Stücks ist gut getroffen, zuweilen fehlt es an Härte für das Grimassenhafte und Brutale in Schnittkes Partitur. Der „Einzug in die Stadt“ (Nr. 5) ist schön ausmusiziert, am Ende der Nr. 4 ist das Orchester asynchron. Aufnahmetechnisch bleiben keine Wünsche offen. Das Booklet hätte der Bedeutung der Produktion angemessener ausfallen können. Es enthält einen gekürzten einführenden Text Strobels, die aus dem Lexikon des Internationalen Films übernommenen Inhaltsangaben liefern keinerlei Hinweise auf den Einsatz der Musikstücke in den Filmen.
Diese Veröffentlichung stand im August 2005 auf der Bestenliste des Preises der Deutschen Schallplattenkritik, beide Suiten wurden im November 2005 im Konzerthaus Berlin live präsentiert.
Christian Kuntze-Krakau