Krausser, Helmut

Die kleinen Gärten des Maestro Puccini

Roman

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Dumont, Köln 2008
erschienen in: das Orchester 06/2009 , Seite 62

Maestro Giacomo Puccini – eine Musik voll Leidenschaft und Vitalität, aber auch Sehnsucht und Tragik. Der Liebling des Publikums, vor allem des weiblichen, versucht die Lösung des großen Rätsels „Frau“ zu finden, erforscht es in vielen, zum Teil parallel laufenden Beziehungen und behauptet: „Jede Frau, mit der ich schlief, endete als Melodie in mir.“ Seine Affären nennt er „kleine Gärten“: Es handelt sich aber nicht um einen mittelalterlichen „hortus conclusus“, eher um die modernen kleinen Gärten außerhalb der Stadt, in denen Mann unter Freunden stolzieren kann, denn: „Wozu hat man Freunde, wenn man vor ihnen nicht angeben darf?“
Was erfährt man im Buch von Helmut Krausser über die Liebschaften des Maestro hinaus? Nicht viel, was dabei helfen könnte, die Werke Puccinis besser oder gar neu zu interpretieren. Aber man darf sich einer aufregenden Lektüre sicher sein. Doch begegnet einem bald der vorwurfsvolle Blick des Autors auf der inneren Umschlagseite. Denn: In den Anmerkungen erklärt Krausser, dass es sich bei seinem Werk um einen „Dokumentarroman“ handele. „Wo bei Briefen das Datum unterstrichen ist, handelt es sich um in keiner Weise manipulierte Texte.“ In den anderen Fällen, behauptet der Autor, gehe es zwar immer noch nicht um „die ganze Wahrheit“, „aber näher ist niemand je bei ihr gewesen“.
Auf die Anmerkungen folgen Endnoten, auf die der Leser gut und gerne verzichten könnte. In diesen wird er nämlich darüber unterrichtet, dass der Wortlaut einer Äußerung von Puccini „erfunden ist“, jedoch der Maestro „sich in etwas anderen Worten“ seinen Freunden gegenüber so „geäußert haben dürfte“ oder dass es keine Beweise gebe, „möglich wäre es immerhin gewesen“. Wenn doch der Autor den Mut gehabt hätte, auf solche Anmerkungen zu verzichten. Der Leser würde sich dann der Illusion einer wunderbaren, untrennbaren Mischung von Dichtung und Wahrheit hingeben, ohne jeglichen dokumentarischen Anspruch. Ohne diese Endnoten dürfte man ungestört in ein wohl fiktives, dennoch spannendes Leben Puccinis eintauchen…
Der Stil von Krausser ist virtuos akademisch, überrascht mit bedeutenden Zeitsprüngen auf engem Raum, verbirgt Perspektivwechsel mitten im Satz – der Leser bekommt Puccinis Vorliebe für Geschwindigkeit und Verdichtung regelrecht zu spüren. Es mag einem wohl etwas schwindelig dabei werden, bis man an eine der wunderschönen poetischen Stellen gelangt – seien diese wahr oder erfunden: „Es ist schrecklich zurückgeworfen zu werden auf eine fragile Körperlichkeit, die sich in einem eklatanten Missverhältnis befindet zu den Ausflügen unseres Geistes.“
Krausser gelingt es meistens, dem Mann Puccini, oft auch dem Menschen und in prägenden Momenten auch dem Künstler gerecht zu werden, gerade wenn er sich der Dichtung überlässt. Als Puccini seine Inspiration nach einer längeren Durststrecke wiedererlangt, gelingt Krausser eine Stretta, die in einem unvergesslichen Höhepunkt kulminiert: Puccini „stürzt zum Klavier zurück, hat eine neue Idee, verwandelt sie in Töne, […] er schreit auf, hämmert auf die Tasten ein, da ist es endlich wieder, das Gefühl, mit den Göttern auf Augenhöhe etwas zu schaffen“.
Cristina Ricca