Terzakis, Dimitri
Die Irrfahrten des Odysseus
für Violine, Violoncello, Oboe, Klavier, Schlagzeug, Tonband, Erzähler, Sopran und Laterna magica-Bilder, Partitur
Der Klang als elementares Phänomen, als Faszinosum eigenen Rechts seit György Ligetis Atmosphères haben sich immer wieder Komponisten diesem Teil des musikalischen Kosmos zugewandt, will man nicht schon im Es-Dur-Wogen des Wagnerschen Rheingold-Vorspiels den Startpunkt dieser Entwicklung erkennen. In dieser Traditionslinie steht auch der Komponist und Klarinettist Jörg Widmann, dessen Denken ebenfalls mehr um Klänge, weniger um Töne kreist. Einen mikroskopischen Blick in die Klangwelten Widmanns wie wenn man an ein Bild näher herantritt erlaubt die Studienpartitur seiner 2002 entstandenen Freien Stücke für Ensemble oder Kammerorchester, die jetzt in der Reihe Musik unserer Zeit im Schott-Verlag erschienen ist. Jedes der zehn Stücke kreist um ein klangliches Phänomen, etwa Glissandi, Klangbänder, Obertöne oder Verdichtung von punktuellen Ereignissen zu Klangflächen. Ein Blick auf die Besetzungsliste zeigt, dass Widmann neben sechs Holz-, drei Blechbläsern und einem Streichquintett ein differenziertes Schlagwerk (für zwei Spieler) verwendet, darunter eine Steeldrum, ein Water Gong, Pekingoper-Gongs, chromatische Rototoms, chinesische Becken oder zwei hohe brasilianische Tamburims. In der Vertikalen seien diese Stücke für meine Verhältnisse geradezu üppig ausgefallen, bemerkt Widmann dazu. Erhellendes liefert dann der Blick in die Partitur, etwa die subtil gearbeiteten Glissandi-Polyfonien (in Nr. 1 und 2) oder die komplexe Mikrostruktur, die der wilden, vorwärts stürmenden Musik der Nr. 8 zugrunde liegt. Aufschlussreich auch die bildhaften Spielanweisungen Widmanns wie etwa Pferdewiehern für die Blechbläser. Zu begrüßen ist in diesem Zusammenhang, dass alle Spielanweisungen in einem Anhang ins Englische übersetzt werden.
Neu erschienen ist auch die Dirigierpartitur der Irrfahrten des Odysseus von Dimitri Terzakis. Das 2010 entstandene Werk, eine Art szenischer Kantate, wurde am 13. März 2011 in der Oper Chemnitz uraufgeführt. Die Geschichte setzt ein, als Odysseus auf Ratschluss der Götter aus der Gefangenschaft der Nymphe Kalypso entlassen wird (im 5. Gesang) und endet mit dem Tod der Freier (im 22. Gesang). Zu der kunstvoll schlichten, fasslichen, an griechischen Modi orientierten Musik wurden bei der Uraufführung rund 150 Jahre alte Laterna-Magica-Projektionen gezeigt, die vom Historischen Museum Frankfurt zur Verfügung gestellt wurden: die Abenteuer des Listenreichen nicht als Theater, sondern als Frühform des Kinos. Die Einsatzzeitpunkte dieser Bilder sind in der Partitur exakt verzeichnet. Die Sopranistin fügt fein geschwungene Vokalisen hinzu und schlüpft zudem in die Rollen von Kalypso oder Athene. Es wäre zu wünschen, dass diesem Werk mehr als nur die Uraufführung beschieden ist.
Mathias Nofze