Otten, Jürgen
Die großen Pianisten der Gegenwart
Mit ausführlichem Lexikonteil
Der Pianist und Musikjournalist Jürgen Otten nimmt die Qualitäten der großen derzeit tätigen Pianisten unter die Lupe und erweist sich dabei als ausgesprochener Kenner der internationalen Pianistenszene. Die Auswahl der kommentierten Pianisten ist “zwangsläufig subjektiv und mag für Kontroversen sorgen”, was ebenso für deren Hierarchisierung gelten kann. Auf die Pianisten “Auf dem Olymp” und “In elysischen Gefilden” lässt Otten die “Exzentriker” und schließlich die “Kinder der Sonne” folgen.
Das erste Großkapitel widmet sich Pianisten wie Alfred Brendel, Martha Argerich oder Mitsuko Uchida. Ein Foto nebst biografischen Akzenten, einer Anekdote, einem Schlüsselerlebnis oder auch einem physischen Charakteristikum führen den Leser zunächst an die Person des Künstlers heran; weitaus größeren Raum nehmen jedoch die anschließenden Analysen des pianistischen Schaffens ein. Differenziert und einfühlsam versteht Otten anhand des jeweils zentralen Repertoires eines jeden Pianisten dessen individuelle musikalische Sprache in Worte zu fassen. Dabei verschleiern die selektiven Ausführungen nicht die hervorragenden Repertoirekenntnisse sowie die profunde Vertrautheit des Autors mit verfügbaren CD-Einspielungen.
“In elysischen Gefilden” sieht der Autor Pianistenpersönlichkeiten wie Paul Badura-Skoda, Christoph Eschenbach oder Lilya Zilberstein. Bei den nun insgesamt kürzeren Darstellungen kommt der biografisch-anekdotischen Einleitung verhältnismäßig mehr Raum zu; auch geht der Autor hier ebenso wie bei den “Exzentrikern” stärker bewertend als beschreibend vor. Wurde der Leser durch die Analysen im ersten Kapitel zum kritisch-differenzierten Hören angeregt, liest er nun vielfach klare, obgleich auch facettenreiche Urteile. Als “Kinder der Sonne” porträtiert Otten in jeweils einem Absatz junge Pianisten, die bereits ein vielversprechendes Potenzial zeigen; während einige Elemente ihres Spiels starke Wertschätzung erfahren, müssen andere harsche Kritik hinnehmen.
Abgerundet wird der Pianisten-Führer mit einer alphabetischen Auflistung aller besprochenen Künstler inklusive diskografischer Empfehlungen; zu all jenen, die nicht schon ausführlicher “Auf dem Olymp” besprochen wurden, findet sich hier zudem eine Kurzbiografie.
Die inhaltliche Auswahl sowie die treffsichere und sinnliche Sprache sorgen dafür, dass sich die Kapitel ausnahmslos gut lesen; doch wird man das Buch sicherlich nicht erst nach der letzten Seite wieder aus der Hand legen. Vielmehr animieren dessen einzelne Teile dazu, sich die Aufnahmen der Künstler vorzunehmen; sie inspirieren zum genauen Hinhören, zum Vergleichen, zum erneuten Nachlesen und eigenen Urteilen. Ein Buch also, das man obwohl es eine Momentaufnahme ist nicht nur einmal, sondern immer wieder gerne zur Hand nehmen wird.
Astrid Bernicke