Schreker, Franz
Die Gezeichneten
Immer wieder gab es wichtige, musikalisch ebenso hochkarätige wie inszenatorisch vielschichtige Ansätze, Franz Schrekers Die Gezeichneten wieder im Repertoire zu verankern. Die Aufzeichnung der Salzburger Inszenierung aus dem Jahr 2005 ist nun auf einer überzeugenden DVD erschienen.
Nikolaus Lehnhoff hat das Werk für die Salzburger Festspiele mit seinem Bühnenbildner Raimund Bauer von der Renaissance näher an die Gegenwart herangeholt, ohne sich dabei auf oberflächliche Modernismen einzulassen. Aus dem verkrüppelten Alviano Salvago, der sich nach Liebe sehnt und in seiner Sucht nach Schönheit eine Art verzauberte Insel geschaffen hat, die aber von der dekadenten höfischen Männergesellschaft als Ort von Orgien entweiht wird, wird bei Lehnhoff ein Mann, der sich gerne in Frauenkleidern zeigt, ein Transvestit. Der Außenseiter in einer brutalen Macho-Welt verliebt sich in die kranke Malerin Carlotta, die ihn malt, sich aber von ihm abwendet, nachdem er versucht, seine Außenseiterrolle zu überwinden, und sich statt Alvianos dem viril-gewalttätigen Tamare hingibt.
Für die Salzburger Felsenreitschule schuf Bauer eine gewaltige liegende Frauenskulptur, die sich am berühmten Skulpturengarten von Bomarzo orientiert. Lehnhoff lässt seine Sänger in dieser sehr intelligenten, auf vordergründigen Schock verzichtenden Regie auf dem Frauenleib agieren. So gelingen ihm, auf dieser DVD sehr nachdrücklich aufgezeichnet, Bilder von großer Eindringlichkeit. Die Diskrepanz zwischen dem Wunschtraum Alvianos und der brutalen Entweihung durch die vergnügungssüchtigen Adligen, die die Bürgertöchter schänden, die Gegensätze von Liebe und Trieb, von Kunst und Natur, von Renaissance-Idealen und dem Horror der von Krieg zerstörten Gegenwart bleibt bei Lehnhoff virulent.
In Kent Nagano hat der Regisseur einen kongenialen Partner am Pult des exzellenten Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin gefunden. Subtil und im nächsten Moment mächtig auftrumpfend gelingt es Nagano, Schrekers harmonisch verästelte, immer wieder zur Auflösung der Tonalität drängende Musik in all ihren Schattierungen, ihrem luxuriösen Klangrausch ebenso wie in ihrer Wirkungsmächtigkeit zu gestalten.
Dazu verfügt die Salzburger Aufführung über eine hervorragende Besetzung. Robert Brubackers zu heldischen Aufschwüngen ebenso wie zu genauer Charakterisierung fähiger Tenor ist nahezu ideal für Alviano Salvago. Die Carlotta der Anne Schwanewilms profitiert ebenso von der Differenzierungsfähigkeit ihres Soprans wie dem Schönklang der Stimme. Michael Volle singt Alvianos Gegenspieler Tamare mit Virilität und Sicherheit, Wolfgang Schöne ist ein eindrucksvoller Lodovico Nardi, Robert Hale als Herzog Adorno steht ihm da schon deutlich nach. Auf nahezu ebenso hohem Niveau agiert das weitere Ensemble und die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor (Chorleitung: Rupert Huber). Eine gelungene DVD-Produktion, bei der nur negativ anzumerken ist, dass leider zu viele Takte für die Aufführung gekürzt wurden.
Walter Schneckenburger