Dvorak, Antonin

Die Geisterbraut op. 69

Klavierauszug mit tschechischem, deutschem und englischem Text

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Bärenreiter, Kassel 2012
erschienen in: das Orchester 02/2013 , Seite 63

Goethe hatte die Ballade gleichsam als „Ur-Ei“ der Dichtung bezeichnet, weil in ihr Lyrik, Epik und Dramatik noch vereint sind und darin abwechselnd angewandt werden. Nachdem sich gegen Mitte des 19. Jahrhunderts die musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten enorm entwickelt hatten, drängten sich solche komplexen, meistens recht umfangreiche Gedichte zu kantatenähnlichen Vertonungen eigentlich geradezu auf, weil die neu gewonnenen Kompositionsmittel eine effektvolle Ausmalung des Textes erlaubten. Indessen haben sich solche Werke trotz einiger anspruchsvoller Beiträge (etwa von Robert Schumann oder Richard Strauss) in den Konzertsälen nicht wirklich auf Dauer halten können.
Hierzu gehört auch Dvoráks 1884 im Auftrag des Birmingham Festivals komponierte Ballade Die Geisterbraut für Soli, Chor und Orchester. Ihr liegt ein Gedicht von Karel Jaromír Erben zugrunde, das sich stoffgeschichtlich auf Gottfried August Bürgers Lenore (1773/74), die „Mutter aller Schauerballaden“, bezieht. Gegenüber dessen oftmals drastischer Darstellung mit einer lautmalerischen Sprache ist Erbens Ausführung weniger angsteinflößend, was sich schon am Ausgang der Geschichte zeigt: Während Lenore nach langem Warten auf die Rückkehr ihres Geliebten verzweifelt mit Gott hadert und zur Strafe von ihrem untoten Bräutigam geholt und verdammt wird, hält das Mädchen bei Erben in der gleichen Situation an seinem Glauben fest, betet kurz vor Schluss noch zu Maria (von Dvorák in einer harfenumrauschten, innigen Preghiera umgesetzt) und rettet so seine Seele. Außerdem hat er Bürgers dämonischen Höllengalopp zum Friedhof („Wir und die Toten reiten schnell!“) in ein gemeinsames Hasten über die nächtlichen Felder abgemildert, wobei die begleitenden Geistererscheinungen nur noch unbedeutende Staffage sind und einen Gruseleffekt nicht mehr so recht aufkommen lassen.
Verglichen mit einem avancierten Klaviermelodram wie etwa Franz Liszts Lenore (1857/58) wirkt Dvoráks spätere Konzeption dementsprechend fast altmodisch: Die Kantate ist in 18, meist pausenlos abfolgende Nummern aus Arien, Duetten, Chor- und Tuttisätzen gegliedert, bei denen die beiden Protagonisten von Sopran und Tenor verkörpert werden, während Solobass und Chor (meist in Textwiederholungen) die erzählenden Abschnitte übernehmen. Obwohl Dvorák das moderne große Orchester um Harfe, Glöckchen und Tamtam erweitert hat (Letzteres in der dunklen Friedhofsszene wirkungsvoll eingesetzt), verzichtete er weitgehend auf vordergründige Dramatik und entfaltete dafür sein ganzes melodisches Können in weitgehend lyrischen Vokalpartien ohne Koloraturen. Bei dem dreisprachigen Klavierauszug handelt es sich um den Nachdruck der Prager Dvorák-Gesamtausgabe; Dirigierpartitur und Aufführungsmaterial sind leihweise erhältlich. Damit steht Die Geisterbraut in einer zuverlässigen, übersichtlich gedruckten Edition der internationalen Konzertpraxis zur Verfügung.
Georg Günther

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