Peter Sühring, Peter
Die frühesten Opern Mozarts
Untersuchungen im Anschluss an Jacobsthals Straßburger Vorlesungen
So unüberschaubar die Flut der Veröffentlichungen zum vergangenen Mozart-Jahr ist, so überschaubar blieb zumeist der Erkenntniswert vieler Neuerscheinungen, die sich allzu oft nur in der Paraphrasierung von Bekanntem ergingen. In doppelter Hinsicht macht Peter Sührings Arbeit zu den frühesten Opern Mozarts hier eine Ausnahme. Einerseits ist das frühe musikdramatische Schaffen des späteren Meisters der Wiener Klassik bislang entweder fast vollständig negiert oder häufig nur pauschal behandelt worden, andererseits macht der Autor teilweise den bislang der Öffentlichkeit nicht zugänglichen Berliner Nachlass des Straßburger Musikwissenschaftlers Gustav Jacobsthal zugänglich. Dieser hat schon in seinen Straßburger Vorlesungen aus den 1880er Jahren, die Sühring hier zumindest auszugsweise vorstellt, einen ungewohnt differenzierten Zugang zu den Kompositionen des jungen Mozart präsentiert.
Sühring führt in seiner als Promotion an der Saarbrücker Universität vorgelegten Arbeit aus, dass den frühesten musikdramatischen Arbeiten Mozarts mehrheitlich keine künstlerische Eigenständigkeit bescheinigt wird: Von Herman Abert, Alfred Einstein hin zu Anna Amalie Abert wird diese These zumeist ohne ausführliche Begründung vertreten.
Der Autor befasst sich mit den Opern, die der elf- und zwölfjährige Wolfgang komponierte, sowie dem szenischen Oratorium Die Schuldigkeit des ersten Gebotes, dem lateinischen Intermedium Apollo et Hyacinthus, der Operette Bastien und Bastienne sowie der Opera buffa La finta semplice nebst den ersten Arienversuchen. Bei dieser die Gattungsgrenzen sinnvoll überschreitenden Untersuchung kann Sühring immer wieder auf Hinweise Jacobsthals zurückgreifen, die er weiterführt, verifiziert oder entscheidend ergänzt. Sühring lehnt den zumeist üblichen Blick rückwärts von den späten Meisterwerken auf das Frühwerk ab, der die Werke der Jugendzeit nur als notwendige Durchgangsstadien ohne besonderen eigenen Wert zur Kenntnis nimmt. Vielmehr untersucht er detailreich, mit welchen Mitteln der junge Mozart zur Dramatisierung seiner Textvorlagen gelangt.
So sieht Sühring in der Durchbrechung der schon früh vorhandenen kompositorischen Routine die Fähigkeit des jungen Künstlers, differenziert auf seine Vorlagen zu reagieren, als erste Ausprägung eines Personalstils. Der frühe Drang zur Oper, der hier überzeugend konstatiert wird, scheint Mozart ein inneres Anliegen, nicht von äußeren Umständen Erzwungenes gewesen zu sein. Sühring kommt dabei dank seiner genauen Analyse des Wort-Ton-Verhältnisses zu erstaunlichen Erkenntnissen, die die Individualität des frühen dramatischen Schaffens von Mozart unterstreichen. So kann er auch die vorherrschende Meinung, das Kind Mozart habe das emotionale Phänomen der Liebe gar nicht erfassen und höchstens der Konvention gehorchend vertonen können, eine Absage erteilen.
Die Genauigkeit und das Infragestellen von Tradiertem machen den Reiz dieser Arbeit aus, die für manche Diskussion sorgen dürfte.
Walter Schneckenburger