Hamann, Brigitte

Die Familie Wagner

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Rowohlt, Reinbek 2005
erschienen in: das Orchester 01/2006 , Seite 73

Wien ist Brigitte Hamanns zentrales Thema, auch ihre neueste Publikation hat im weiteren Sinne hier ihren Ursprung: Nach viel gelobten Büchern etwa über den Kronprinzen Rudolf und die Kaiserin Elisabeth legte die Historikerin und Bestseller-Autorin 1996 mit Hitlers Wien eine bemerkenswerte Studie über des Diktators Lehrjahre in der Donaumetropole vor. Hitlers Aufstieg zur Macht und die Bedeutung, die in diesem Zusammenhang seine Beziehung zur Wagnerstadt Bayreuth und zur Familie des Meisters besaß, werden in Hamanns Winifred Wagner oder Hitlers Bayreuth thematisiert, einem akribisch recherchierten und fesselnd geschriebenen Werk, das 2002 zum „Historischen Buch des Jahres“ gewählt wurde.
Die vorliegende rororo-Monografie über die Wagner-Familie lässt bereits in ihrem Aufbau einen Bezug zum Winifred Wagner-Buch und zur politischen Dimension Bayreuths erkennen: Das Buch ist aufgeteilt in drei große Kapitel: Richard – Cosima und Siegfried – Winifred und ihre Söhne. Die Ehepaare – Richard und Cosima einerseits, Siegfried und Winifred andererseits – werden also gleichsam „zerrissen“ zugunsten einer Betrachtungsweise, die mehr Aufmerksamkeit auf den politischen Aspekt lenkt. Bayreuth, das bedeutet seit Cosima Wagners Zeiten: Etablierung von Machtapparaten und Ideologien, erbitterte Kämpfe um deren Erhalt, hehres Ziel und eiskaltes Kalkül, Prachtentfaltung und Katastrophen, Walhall und Götterdämmerung in einem. Richard Wagner – wiewohl Stammvater und Zentrum allen Kults – steht noch für sich: Erst spät wurde er zum „Bayreuther Wagner“ und damit, überspitzt gesagt, zu einer Schöpfung Cosima Wagners. In Hitlers Deutschland, so Enkelin Friedelind, hätte Richard Wagner nicht atmen können.
Brigitte Hamanns Wagner-Saga ist, mit Verlaub, ein Volltreffer! Eingedenk der wahrlich nicht schmalen Literatur zum Thema musste man erstaunlicherweise bis heute auf eine derart konzise, spannende und zugleich auf reichem Fachwissen basierende Gesamtdarstellung warten. Ungeachtet seines knappen Zuschnitts lotet das Buch präzis hinab in die komplexen Charaktere der Protagonisten, allen voran jener beiden Personen, deren Nachwirkungen zweifellos die aller anderen überragen: Cosima Wagner und Winifred Wagner. Erschüttert lesen wir, zu welchen Leistungen, aber auch Verblendungen und Verletzungen diese starken Frauen fähig waren. Und geradezu mit Abscheu verfolgen wir den Weg des nachmals als Verkörperung Neu-Bayreuths gefeierten Wieland Wagner, der während des Kriegs erbittert um die Herrschaft über Bayreuth kämpft, den Bühnenbildner Preetorius in die Fänge der „Gestapo“ treibt, noch im April 1945 einen Fluchtversuch in die Schweiz unternimmt und sich in den folgenden Jahren eine neue, „nazi-freie“ Vergangenheit zulegt.
Bayreuth und Wagner, das war und ist – so resümiert Brigitte Hamann – immer auch die Geschichte „dressierter Kinder“ (Siegfried, Wieland, Katharina) und „zu kurz gekommener Verwandter“ (z.B. Isolde Beidler, Friedelind, Nike). Sind die Wagners am Ende eine „ganz normale“ Familie?
Gerhard Anders