Mai, Klaus-Rüdiger
Die Bachs
Eine deutsche Familie
Heute würde man sie als die perfekten Netzwerker bezeichnen: Die Bachs stellten in Mitteldeutschland über Generationen hinweg anerkannte Organisten, Kantoren und Hofmusiker. Die Familie sorgte neben einer hervorragenden handwerklichen Ausbildung des Nachwuchses auch dafür, dass frei werdende Organistenstellen oder solche für Kantoren oder Hofmusiker aus den Reihen der zahlreichen Familienmitglieder besetzt wurden. Während die Literatur zu Johann Sebastian Bach inzwischen unüberschaubar ist auch seine Söhne sind wissenschaftlich recht gut erforscht , gibt es erst wenige Gesamtdarstellungen der Familiengeschichte der Bachs wie die von Percy M. Young aus den 1970er Jahren.
Klaus-Rüdiger Mai hat sich darangemacht, die oft nur mit Hilfe eines Stammbaums noch zu durchschauende Geschlechterfolge aufzudröseln. Zurückgreifen kann er dabei auf Johann Sebastian Bachs eigenen genealogischen Ansatz. Mai lässt die Geschichte der Familie mit der Flucht des Lutheraners Veit Bach aus Ungarn zurück nach Thüringen beginnen und legt damit eine Leitlinie des Buchs vor: Neben dem Versuch, die jeweiligen musikalischen Besonderheiten der einzelnen Mitglieder der Bach-Familie zu charakterisieren, ist es sein Anliegen, die religiösen Spannungen der Zeit zu schildern, die nicht nur wie zu erwarten wäre zwischen Katholiken und Protestanten immer wieder aufflammten, sondern auch zwischen Lutheranern und Reformierten. Dem überzeugten Lutheraner Johann Sebastian Bach, aber auch manchem seiner Vorfahren brachten diese Differenzen handfeste Probleme ein. Plastisch schildert Mai den Zusammenhalt der Familie, der sich auch bei der Versorgung von bedürftigen Familienangehörigen auszahlte wie z.B. des zehnjährigen Vollwaisen Johann Sebastian.
Immer wieder fällt der Blick des Autors auf die theologischen Strömungen der Zeit, die Philosophie und die politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen Veränderungen ebenso wie auf die Entwicklung der Musik. So entsteht ein anregendes Panorama der Zeit. Besonderes Interesse hat Mai an Johann Bach, einem nahezu vergessenen Vorfahren Johann Sebastians und von diesem geschätzt, für dessen wenige überlieferte Werke Mai eine Ehrenrettung erreichen will. Ob Johann Bach wirklich in seiner Zeit und seinem Umfeld so herausragend wirkte, muss aber auch infolge der Quellenlage zumindest zweifelhaft bleiben.
Mit den Söhnen des Thomaskantors Wilhelm Friedemann, von Mai etwas großzügig zum ersten Romantiker verklärt, dem Sonntagskind Carl Philipp Emanuel Bach, dem verkannten Johann Christoph Friedrich und Johann Christian, der sich von der Last des Protestantismus befreite und zum Katholizismus konvertierte, endet die Familie Bach als bedeutende Musikerfamilie, auch wenn spätere Nachkommen sich gelegentlich noch professionell musikalisch betätigten. Die unterschiedliche Entwicklung der Bach-Söhne die sich trotz des Anspruchs ihres Vaters, sie nicht zu musikalischen Epigonen seiner selbst zu erziehen zeigt einen produktiven Abnabelungsprozess, wobei mache Entwicklung ohne die bewusste oder unterschwellige Auseinandersetzung mit dem dominanten Vater wohl anders verlaufen wäre.
Walter Schneckenburger