Christiane Wiesenfeldt

Die Anfänge der Romantik in der Musik

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Bärenreiter/Metzler
erschienen in: das Orchester 9/2023 , Seite 64

Seitens der Literaturwissenschaft ist über das Romantische um 1800 – auch übrigens in seinem Bezug zur Musik – bislang weitaus intensiver diskutiert worden als in der Musikforschung. Dass sich Christiane Wiesenfeldt hier nun aus musikologischer Perspektive der Frage nach den Anfängen der Romantik in der Musik widmet, hat von daher bereits einen besonderen Stellenwert.
In inhaltlicher Anlage und methodischem Vorgehen ist die Untersuchung einem Romantik-Verständnis verpflichtet, das sich explizit von inkonsistenten Epochen- und diffusen Stilzuschreibungen und Klischees abhebt: Denk-, Deutungs- und Handlungsmodelle des Romantischen zu identifizieren; Musik in ihrer Teilhabe an einem romantischen Programm zu begreifen; den Fokus dabei konsequent auf zeitgenössische Debatten und Konzepte mit Innovationsleistung zu richten – solcherart Ambitionen leiten die Autorin in ihrer genauso spannenden wie ergiebigen Spurensuche.
Wenn das Unaussprechliche, das Undefinierbare der Kunst am Ausgang des 18. Jahrhunderts als eigentliche Wahrheit und Wirklichkeit gedeutet wird, dann bedeutet genau dies angesichts des zeit­gemäßen Wissens um die Rationalität der Welt und eine jahrhunderte­alte Tradition des regelorientierten Kunst-Machens ­einen Para­­digmen­wechsel, der sämtliche Bereiche ästhetischer Praxis betrifft.
Der romantische Autor nimmt auf die Kunst und darauf, über Kunst zu reflektieren, selbst Einfluss, wovon Briefe und Schriften unmittelbar zeugen; die Aufwertung des Lyrischen und Idyllischen als künstlerische und eben auch musikalische Ausdrucksformen im Horizont einer neuen Diskussion; Wirkung neuer Werkkonzepte und „romantischer Kippfiguren“, gefasst in den Begriffspaaren „Offenheit und Fragmentarik“ (das Brechen mit Hörerwartungen) sowie „Ironie und Ambiguität“ (im Sinne der Relativierung von Eindeutigkeiten).
Überzeugenden Zielpunkt der Ausführungen stellt schließlich in Anbetracht all der zusammengetragenen Beobachtungen und Indizien eine neue Lesart, ja absolut plausible (Um-)Wertung jenes berühmten Beethoven-Textes von E.T.A. Hoffmann zur 5. Sinfonie dar: Denn nicht etwa ist dieser Text als Gründungsurkunde romantischer Musikästhetik aufzufassen, sondern vielmehr vermag er, in hohem Maße voraussetzungsreich, „das Ende der Anfänge der Romantik in der Musik“ zu dokumentieren.
Gunther Diehl