Strauss, Richard / Igor Strawinsky

Dichtung. Episch. Programm.

Don Juan/Till Eulenspiegel / Le Sacre du Printemps

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Musicaphon 56909
erschienen in: das Orchester 07-08/2009 , Seite 68

Wahrscheinlich gibt es längst Marketingfachleute, die sich darauf spezialisiert haben, den bestmöglichen – will sagen: dem Absatz am meisten förderlichen – Titel für eine CD zu finden. Den Vogel hat vor einiger Zeit Peter Jan Marthé mit seiner Komplettierung der neunten Bruckner-Sinfonie abgeschossen, die als „Bruckner IX Reloaded“ in die Läden kam.
Auch die Verantwortlichen des Philharmonischen Orchesters Lübeck haben sich etwas einfallen lassen für ein Programm, bei dem – im Falle der CD-Produktion – guter Rat teuer war. Dichtung. Episch. Programm.: Der Titel würde prima zu einem Stück von Mauricio Kagel passen, doch tatsächlich stellt er sich vor eine einigermaßen gewöhnliche Koppelung von Strauss und Strawinsky: „Till Eulenspiegel“ und „Don Juan“ hier, „Le Sacre du Printemps“ dort. Drei Mal Standardrepertoire.
Zwar ist der zeitliche Unterschied zwischen dem „Frühlingsopfer“ (1913) und den Tondichtungen (“Till Eulenspiegel” 1895 und “Don Juan” 1889) nicht groß – was für die Zusammenstellung sprechen könnte. In Wahrheit aber trennen Welten die Werke. Denn während Strauss in den 1890er Jahren noch voll der Spätromantik verhaftet war, ist “Sacre” (auch durch den Skandal bei der Uraufführung) ein Meilenstein der modernen Musik. Ein Schritt auf dem Weg zur Emanzipation des Rhythmus gegenüber der Melodie. Spannender wäre die Verbindung mit der Strauss’schen “Elektra” gewesen, die 1909 entstand und auf ihre Weise ein ebenfalls höchst progressives Stück ist.
Abgesehen davon, dass der CD-Titel dem “Frühlingsopfer” das nur bedingt passende Attribut „episch“ zuweist (nachdem Dichtung und Programm klar an Strauss vergeben sind), wundert die konventionelle Auswahl. Denn der Dirigent Roman Brogli-Sacher – seit 2001 GMD in der Hansestadt Lübeck – ist bislang eher durch ungewöhnliche Aufnahmen aufgefallen, etwa mit Werken von Liebermann, Honegger oder Friedhelm Döhl. Diese CD hingegen leistet nicht mehr, als die Schlagkraft des Lübecker Orchester unter Beweis zu stellen.
Das immerhin gelingt beachtlich – umso mehr, als es sich um einen Live-Mitschnitt handelt. „Le Sacre du Printemps“ technisch auf diese Weise zu meistern, das ist bereits mehr als die halbe Miete. Bei allen Aufnahmen legt Brogli-Sacher mehr Wert auf Präzision als auf großen Klang, er nimmt die Tempi mit kalkulierter Emotion und schließt sich etwa der ekstatischen Sacre-Lesart von Seiji Ozawa von 1968 nicht an. Der Klang der bei Musicaphon erschienenen Produktion erreicht den Hörer zudem etwas indirekt und wie von Ferne.
Johannes Killyen