Hefti, David Philip

Diarium

für Violine solo

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Kunzelmann, Lottstetten 2004
erschienen in: das Orchester 01/2005 , Seite 84

Die Gattung kürzerer Stücke und Zyklen für Violine solo erfreut sich seit einiger Zeit zunehmender Beliebtheit. Auch der junge Komponist David Philip Hefti liefert mit Diarium seinen Beitrag zum Genre. Im Vorwort dazu äußert er sich selbst: „Diarium wurde 1999 im Auftrag von Regula Rügge geschrieben und basiert auf einer dodekaphonen Keimzelle, einer Zwölftonreihe, die aus dem Namen der Auftraggeberin abgeleitet und so angelegt ist, dass deren Töne sieben bis zwölf die Umkehrung der Töne eins bis sechs bilden; überhaupt beziehen sich alle Parameter dieses Solostückes auf ihren (Vor-)Namen. Zu den einzelnen Sätzen: 1. Sonata. Wie der Titel schon sagt, ist dieser Satz in der ,klassischen‘ Sonatenhauptsatzform geschrieben. Der Hauptsatz der Exposition ist von energischen Rhythmen, großen Intervallen und lauter Dynamik geprägt, ganz im Gegensatz zum Seitensatz, der in allen erwähnten Punkten einen Kontrast dazu bildet. In der Durchführung werden Haupt- und Seitensatz vertauscht und laufen krebsartig; das Tonmaterial bleibt dem entsprechenden Satz zugeordnet, erscheint aber in der Umkehrung. Dem Sonatenhauptsatz gemäß erscheint der Seitensatz in der Reprise in der ‚Tonika‘“.
Ebenso konstruktivistisch sind die weiteren fünf Abschnitte angelegt: ein „zweistimmiger Umkehrungskanon, der ab Mitte des Satzes krebsförmig … läuft“; ein fantasieartiges Stück „Prologus – Tempestas – Lamentatione“, das „sich sehr stark auf die Fibonacci-Zahlenreihe und das Verhältnis des Goldenen Schnittes bezieht“; „Quae regula?“, eine raffinierte Spiegelkonstruktion und als einziger Satz nicht auf einer Zwölftonreihe basierend; das Zwölfton- und Zentralton-Technik verbindende „Re(di)re“, an dessen Ende „eine Kadenz von dreistimmigen Akkorden erklingt, die sich dadurch ergeben, dass der Interpret einen Doppelgriff spielt und einen dritten Ton singt/summt“, sowie das „Finale“, das Bachs Choral Komm, süßer Tod mit der Zwölfton-Reihe kombiniert.
Das gesamte Werk – alle sechs Sätze zusammengenommen – dauert zwölf Minuten und verlangt dem Interpreten einiges ab. Sperrige Ton- und Griffkombinationen sind zu bewältigen, Rhythmen aufzudröseln, exakteste Vorgaben Heftis bei Dynamik, Tempo (Viertel = 94,2 oder = 111,6 usw.!) und Artikulation zu beachten, die Sätze 1 und 3 sind darüber hinaus mit Vierteltönen durchsetzt.
Es dürfte – kaum verwunderlich bei einer derartigen kompositorischen Dichte – außerordentlich schwierig sein, die komplexen Strukturen deutlich werden zu lassen. Diarium ist bei all seiner Reichhaltigkeit sicherlich kein Werk, das sich dem Interpreten und dem Hörer leicht erschließt. Eine intensive Beschäftigung mit der Komposition dürfte sich jedoch lohnen.
Als Geiger wäre man dem Komponisten dankbar für einen Hinweis, inwieweit in den Sätzen
2 und 6 liegende Töne bei gleichzeitig fortschreitender Linie durchgehalten werden müssen oder in quasi barocker Manier verkürzt werden dürfen. Aufmachung und Druck der Ausgabe zeigen gewohnt hohen Standard.
Herwig Zack