Rentsch, Ivana / Walter Kläy / Arne Stollberg (Hg.)
Dialoge und Resonanzen
Musikgeschichte zwischen den Kulturen
Der vorliegende Band wurde anlässlich des 80. Geburtstags von Theo Hirsbrunner herausgegeben. Hirsbrunner hat mit seinen zahlreichen Komponisten-Biografien (z.B. Debussy, Messiaen und Boulez) Wissenslücken geschlossen und dies mit einem exemplarischen und zugleich charmanten kulturgeschichtlichen Ansatz verbinden können. So ist der Titel programmatisch zu verstehen im Hinblick auf das Schaffen Hirsbrunners, der hier zum Resonanzraum für die vorliegenden Aufsätze geworden ist.
Sehr übersichtlich und thematisch weit gefächert ist der Band untergliedert in Bereiche wie Literatur und Kunst in der Musik oder Gattungstraditionen, in denen die neuere Musikgeschichte vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart zur Sprache kommt. Dabei wurde wohl sehr sorgsam von den Herausgebern beachtet, dass auch möglichst viele Facetten vertreten sein mögen. Von Themen der Weltliteratur wie Hans-Joachim Hinrichsens Beitrag zu Tolstoi und die Musik, die er an Tolstois Kreutzersonate exemplifiziert, oder im Abschnitt Nationen und Kulturen ein Stück interkultureller Geschichte des 19. Jahrhunderts zwischen China und Europa an der Figur Joseph-Marie Amiots im Beitrag von Kii-Ming Lo und Li-Xing Hong aufscheint, bis hin zum musikalischen Transfer von neuer Musik und Popmusik (Simone Hohmaier) in dem Band treten unterschiedlichste Aspekte musikalischer Kultur hervor. Besonders bezeichnend und wohl als spezielle Reverenz an Hirsbrunner gemeint ist das Kapitel Paris, eine Hommage an dessen Forschungen zu französischen Komponisten. Christoph von Blumröder referiert hier zum Streit zwischen Vertretern der Musique concrète, in erster Linie Pierre Schaeffer, und seinen Widersachern in Donaueschingen; Jens Rosteck kommentiert die Begegnungen zwischen dem amerikanischen Komponisten Ned Rorems mit Poulenc. Jürgen Maehder beklagt zu Recht den Mangel an wissenschaftlicher Beschäftigung mit dem Orchestersatz und liefert Einblicke in die Klangwerkstatt Olivier Messiaens.
Bei aller Sorgfalt, die dem Band mit seinen vielfältigen, daneben auch sehr einfallsreichen Themen zu attestieren ist, so fällt doch auch eine gewisse Trägheit hinsichtlich des musikalischen Denkens auf, das die Beiträge kaum spezifisch thematisieren. Dabei gäbe es an verschiedensten Stellen Anlass genug, Musik und Theorie transparent zu diskutieren. Lukas Haselböck etwa stellt amerikanische und europäische Musiktheorie im Kapitel Wissenschaftstraditionen gegenüber. Den alten Streit zwischen Hermeneutik und Strukturanalyse hält der Autor weiterhin für gültig und aktuell. Dabei kommen neuere theoretische Ansätze des Poststrukturalismus wie Dekonstruktion oder Gender Studies, die gerade durch die amerikanische Musikwissenschaft in Gestalt etwa Susan Mc Clarys durchaus prominent vertreten sind, gar nicht zur Sprache. So wirkt der Band trotz seiner Themenvielfalt denkwürdig eingegrenzt in seiner methodologischen Perspektive einem gepflegten Vorstadtgarten nicht unähnlich. Einzig durch die Behandlung zeitgenössischer Komponisten wie Rihm (durch Andreas Zurbriggen) und Lachenmann (durch Matthias Schmidt) vermag der Band die bestehende Gegenwart einzuholen.
Steffen A. Schmidt