Shchedrin, Rodion

Dialoge mit Schostakowitsch

Symphonische Etüden für Orchester, Studienpartitur

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2004
erschienen in: das Orchester 09/2005 , Seite 83

Rodion Shchedrin knüpft immer wieder an die Tradition und an Werke seiner Vorgänger an; Verbindungslinien zu Dmitri Schostakowitsch und Sergej Prokofjew lassen sich ebenso ziehen wie zu Aram Chatschaturjan oder Dmitri Kabalewski. Obgleich ein besonderer Schwerpunkt seines Schaffens auf der Ballettmusik liegt, hat er sich gleichermaßen auch der Instrumental- wie der Vokalmusik zugewendet.

Dialoge mit Schostakowitsch, ein einsätziges Werk für großes Orchester (Holzbläser: 2 Piccolos, 2 Flöten, 2 Oboen, 1 Englisch Horn, 1 Klarinette in Es, 2 Klarinetten in B, 2 Fagotte, 1 Kontrafagott; Blechbläser: 4 Hörner in F, 3 Trompeten in C, 3 Posaunen, 1 Tuba; Pauken, Schlagzeug: I: hängende Crotales, Militärtrommel hoch, Choclo/II: Tamtam, Militärtrommel mittel, Schellen [Troika], Pfeife/III: 2 Tomtoms mittel/mitteltief; IV: Beckenpaar, Große Trommel; Streicher: 18 Violinen I, 16 Violinen II, 14 Violen, 12 Violoncelli, 10 Kontrabässe) ist nicht zuletzt aufgrund der prägnanten Rhythmen, der weit gefächerten Klangfarbenpalette und des charakteristischen Wechsels unterschiedlicher Ausdruckscharaktere auf engstem Raum wie ein Gespräch mit Schostakowitsch zu hören. Von den Instrumentalisten wird viel verlangt, etliche Passagen erfordern große Konzentration und Spannkraft. Das Werk wurde am 8. November 2002 in Pittsburgh, Heinz Hall, vom Pittsburgh Symphony Orchestra unter der Leitung von Mariss Jansons uraufgeführt.

Das einsätzige Orchesterstück lässt sich als ein einziger Klang hören, der sich auf- und wieder abbaut. Es erreicht seinen Höhepunkt in der Mitte (Ziffer 25): „Poco più pesante, con tutta la forza“. Eine einprägsame melodische Kontur verbindet sich mit scharfem rhythmischen Profil – alle Perkussionisten werden eingesetzt.

Insgesamt werden die Dialoge mit Schostakowitsch durch charakteristische Tempo-Einheiten strukturiert. Es beginnt mit einem Abschnitt „Moderato pesante“, fährt fort mit einem „Sostenuto assai“; es folgt ein Abschnitt „Più animato“, dem sich ein „Allegro, ma non troppo“ anschließt. Dieses Allegro führt zum bereits erwähnten Höhepunkt in der Mitte des Stücks. Und nun, nach diesem Höhepunkt, beginnt eine Art Reprise. Das erste Tempo „Tempo I (Moderato pesante)“ wird wieder aufgenommen; dem bekannten Tempoverlauf entsprechen die bekannten thematisch-motivischen Strukturen aus dem ersten Teil „Moderato pesante“. Auch die nun folgenden Abschnitte „Poco più animato“ und „Allegro, ma non troppo“ verweisen nicht nur hinsichtlich ihrer spezifischen Tempo-Bestimmung, sondern auch in Bezug auf ihre motivische Prägnanz zurück auf die entsprechenden Abschnitte in der ersten Hälfte des Stücks. Statt mit einem weiteren Kulminationspunkt enden die Dialoge mit einem zurückgenommenen Teil „Poco meno mosso (Sostenuto)“, der durchaus auch als Anspielung auf die Bewegung „Sostenuto assai“ in der ersten Hälfte des Stücks (vor dem Abschnitt „Più animato“) zu hören ist.

Das Orchesterstück wirkt durch die stets wechselnden Temposchichten, die in sich wiederum durch kleinere Modifikationen des Tempos wie accelerando oder ritardando changieren, sehr lebendig. Charakteristisch sind ferner die Verknüpfung von gleichsam statischen, jedoch farblich sehr nuancierten Liegeklängen und bewegten Tongruppen wie Akzentketten, Tonrepetitionen, ostinaten Wiederholungsmustern und motivisch-gestischen Einwürfen sowie ein belebender Wechsel zwischen vollem Orchestersatz und quasi kammermusikalischem Satz. Als Beispiele für die Reduktion auf drei- oder vierstimmige Linienführung möge das vierstimmige Spiel der vier Solohörner (Ziffer 4) und das drei-, im Grunde zweistimmige Spiel zweier Hörner und der 1. und 2. Violinen (unisono) gelten.

Das Orchesterstück gibt dementsprechend zum einen hinsichtlich der Tempomodifikationen, zum anderen aber auch aufgrund der stets wechselnden Dichte und Farbigkeit ein in sich bewegtes Klangbild.

Eva-Maria Houben