Moens-Haenen, Greta
Deutsche Violintechnik im 17. Jahrhundert
Ein Handbuch zur Aufführungspraxis
In ihrem klug geschriebenen Vorwort weist Greta Moens-Haenen auf die wichtigste Erkenntnis, die ihr Buch vermittelt, hin: Es gibt nicht die barocke Violintechnik, die von manchen Musikern zumindest noch vor einigen Jahren dogmatisch vertreten wurde. So ist die Haltung mit der Violine an das Brustbein gedrückt keineswegs die einzige Art, vielmehr ist auch schon die Stützung durch das Kinn belegbar. Auch das Drücken des Daumens auf das Bogenhaar wird keineswegs durchgängig gelehrt. Geigen war schon damals eine lebendige und vielfältige, Traditionen und Möglichkeiten erprobende Kunst. Moens-Haenens Buch ist so ein wichtiger Beitrag zur Weiterentwicklung der historischen Aufführungspraxis und allgemein des musikalischen Bewusstseins weg von einer schulischen Lehre hin zu einer lebendigen Auseinandersetzung mit der Musik.
Moens-Haenen belegt eindrucksvoll, wie im Geigenspiel des 17. Jahrhunderts so unterschiedliche Traditionen wie die des Bierfiedlers, der häufig jüdischen Geigenformationen und des kunstvollen Geigenspiels zu finden sind. Jede dieser Traditionen hatte ihre eigene Art der Violintechnik, da sie jeweils eine andere Musik betraf. Anhand minutiöser Quellenstudien zeigt die Autorin, wie sich die Haltung der Violine veränderte. Dabei war die barocke Haltung, also die Violine an die Brust gedrückt, ein Versuch, das Violinspiel galanter zu machen und wurde in Deutschland von professionellen Musikern keineswegs so übernommen, da sie das Lagenspiel erschwert. Der Violinstrich war anfangs auf Lautstärke und Rhythmus ausgerichtet, weshalb hier die Straffung der Bogenhaare durch den Daumen sinnvoll war. Doch dann wurde der stete lange Bogenstrich wichtig, da er das Singen auf der Geige erst ermöglicht.
Solche Entwicklungen werden von der Autorin mit zahlreichen Belegen plausibel dargestellt. Sie beschreibt die damals gelehrten Stricharten und zeigt die enge Verbindung von Aufstrich und Taktbetonung. Bei der Darstellung der Strichfolge im Dreiertakt stellt sie die verschiedenen Möglichkeiten vor, die in den Quellen beschrieben werden. Dabei zeigt sich, dass es keine Dogmen gab. Moens-Haenen zeigt im Anschluss den Wandel des Violinklangs vom Unterschicht-Instrument zum Kunstinstrument. Im Schlusskapitel wertet sie das Repertoire hinsichtlich der barocken Violintechnik aus.
Die Autorin ist sich der Grenzen ihres Buchs wohltuend bescheiden bewusst. Sie will Mittel anbieten, um selbst zu suchen. Dies wird durch ausführliche Quellenzitate, eine umfangreiche Bibliografie und ein Register erleichtert. Allerdings bleiben auch Fragen offen. Um weiter zu kommen, sollte die historische Aufführungspraxis nicht isoliert betrachtet werden, sondern im Kontext mit der Musik und musikalischen Struktur. Nur so lassen sich beispielsweise Fragen des Schwerpunkts und damit des Bogenstrichs klären. Doch das scheint noch ein weiter Weg.
Franzpeter Messmer