Zizek, Slavoj
Der zweite Tod der Oper
Einem zweiten Tod geht logischerweise ein erster voraus. Ist die Oper aber wirklich jemals gestorben oder wurde sie nur immer wieder einmal totgesagt? Natürlich ist sie provokant gemeint, die Behauptung, die Oper sei von ihrem Beginn her tot gewesen, ein totgeborenes Kind der Kunst der Musik, aber kann Provokation so weit gehen, dass sie sich zu einer gänzlich unhaltbaren (und nur unzulänglich begründeten) Behauptung versteigt? Wir wollen hier nicht die ganze Musikgeschichte nachzeichnen, aber die Namen Peri, Cavalieri, Monteverdi usw. fallen zum Beispiel überhaupt nicht, obwohl es jene Männer sind, die an diesem angeblich so toten Beginn der Oper gestanden haben. Es gab ein Bedürfnis nach dieser neuen Gattung, es gab Rezipienten ergo konnte sie kein totgeborenes Kind gewesen sein!
Nun hat Zizek natürlich seine eigene Auffassung von dem, was als Oper zu gelten habe: Mozart, ja, Alban Berg, Richard Strauss, ein paar andere Namen fallen auch noch, aber vor allem ist es Richard Wagner, mit dem sich der Autor auseinander setzt. Mit dem zweiten Tod spielt Zizek aber nicht auf ein neuerliches Ableben der gesamten Spezies an, sondern auf den Tod in der Oper, den Sterbeprozess, wie er sich in der Opernhandlung darstellt, und spätestens hier bemerken wir unseren initialen Irrtum: Im Unterschied zur Suggestion des Titels handelt es sich um nichts weniger als um ein Musikbuch; die Opernszene und hier insbesondere Tristan und Parsifal dient Zizek lediglich als illustrierender Unterbau für seine philosophischen Denkgebäude. Und diese Gebäude sind hoch, so hoch, dass es nur wenigen Sterblichen vergönnt sein wird, in ihren Gängen zu wandeln, Zitat: Im Augenblick, in dem wir zur rhizomatischen Poesie der ,Simulacra der Simulacren übergehen, ,die endlos ohne Original und ohne Kopie einander spiegeln, geht die Dimension des Realen verloren. [
] Das Entscheidende ist demnach nicht, dass ich, wenn wir nur zwei sind, noch immer die ,nicht-dekonstruierte Differenz zwischen dem Original und seinem Simulakrum in der Weise aufrecht erhalten kann, dass dieses wahr sei
Alles klar?
Zugegeben, zusammenhangloses Zitieren ist unfair, aber mehr oder weniger formuliert Zizek sein ganzes Buch in dieser Weise. Auf Breitenwirkung ist dieser Mann wahrlich nicht aus! Er hält es da offenbar mit Webern, der akzeptiert habe, dass es überhaupt keinen großen Anderen, keinen idealen Hörer für seine Kompositionen gibt. Wird sich der ideale Leser für Zizeks Buch finden?
Am Ende aber bleibt eine ganz andere Frage: Wie viel ist ein Haus wert, das auf unsicherem Grund gebaut ist? Wie viel ist ein Buch wert, dessen ganze Struktur auf falschen Prämissen (Die Oper war von Anfang an tot) gründet? Das gedankliche Gebäude kann noch so faszinierend sein: Mit dem schwankenden Fundament muss es zusammenstürzen! Der Autor hat sich in seiner eigenen Falle gefangen!
Friedemann Kluge