Leikert, Sebastian (Hg.)

Der Tod und das Mädchen

Musikwissenschaft und Psychoanalyse im Gespräch

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Psychosozial-Verlag, Gießen 2011
erschienen in: das Orchester 05/2012 , Seite 71

Da Sigmund Freud nach eigenem Bekenntnis mit Musik wenig anzufangen wusste, spielte sie in der Psychoanalyse bisher kaum eine Rolle. Eigentlich erstaunlich, ist es doch gerade die Musik, die das Unterbewusstsein anspricht. Das soll sich ändern, und so hat sich eine „Deutsche Gesellschaft für Psychoanalyse und Musik“ gegründet und legt jetzt die Beiträge ihres ersten Symposiums vor. Dabei beschränken sich die einzelnen Aufsätze nicht auf das rein Psychoanalytische; zwei der Autoren sind Musikwissenschaftler.
Thomas Seedorf analysiert sachlich und überzeugend zwei Schubert-Lieder, die sich mit dem Thema Tod befassen: das dem Buch titelgebende Der Tod und das Mädchen und Der Jüngling und der Tod. Hier bewegt sich der Musikfachmann auf zugänglichem Terrain, ebenso wie bei dem hervorragend recherchierten und allgemein verständlich formulierten Aufsatz von Sabine Ehrmann-Herfort, die dem Totentanzmotiv in der Musik vom Mittelalter bis in die heutige Zeit nachgegangen ist. Diese beiden Beiträge haben mit der Psychologie nicht direkt zu tun, sie behandeln lediglich das Thema „Tod“ des Symposions.
Manche der rein psychoanalytisch orientierten Artikel leuchten auch dem Laien ein, bei anderen verliert er sich im Dunkel der psychologischen Fachausdrücke. Naturgemäß ist Musik – und selbst Programmmusik – mit der Psychoanalyse schwerer in Beziehung zu setzen als eine an das Wort gebundene Kunst. Am verlässlichsten funktioniert das demzufolge mit der Oper, bei der wir einen Text und eine Handlung haben. So treten hier Strauss’ Salome, Verdis Traviata und schließlich Wagners Walküre auf den Plan, meist untermauert mit Musikbeispielen.
Die psychologisierende Betrachtung von Siegmunds Tod ist eine durchaus interessante These: Durch den Raub des Rings, gedeutet als Symbol für die Aggression gegen die Mutter, macht sich Wotan sein Leben lang schuldig, verdrängt diese Schuld, kann sie aber nicht eliminieren. Daraus entwickelt sich das ganze Drama, das schließlich im Gehorsam gegen Fricka und mit Siegmunds Tod vorläufig endet. Die Deutung von Strauss’
Salome ist dagegen für den Laien kaum nachvollziehbar, so sehr ist der Aufsatz angefüllt mit psychoanalytischem Fachwissen. Den Überlegungen des Beitrags zu Verdis La Traviata kann man dagegen folgen. Er ist es, der am engsten mit der Musik verwoben ist, der die Bedeutung der menschlichen Stimme behandelt und schließlich die unbewussten tiefenpsychologischen Erkenntnisse des Komponisten.
Alles in allem eine Sammlung für psychologische Fachleute – der Musiker wird wohl weniger davon profitieren. Aber man ist ja erst am Anfang mit dem neuen Verein.
Ursula Klein

Page Reader Press Enter to Read Page Content Out Loud Press Enter to Pause or Restart Reading Page Content Out Loud Press Enter to Stop Reading Page Content Out Loud Screen Reader Support