Graun, Carl Heinrich

Der Tod Jesu

Rubrik: CDs
Verlag/Label: querstand VKJK 0412
erschienen in: das Orchester 03/2005 , Seite 81

Es ist noch gar nicht lange her, da begründeten die MDR-Klangkörper ihre neue CD-Edition beim Label querstand mit drei Aufnahmen. Nun legten die Künstler, die aufgrund diverser Probleme so lange auf diese Imagekomponente warten mussten, gleich drei nach, darunter zwei Doppel-CDs. Und die Parallelen zur ersten Serie sind offensichtlich. Damit gibt die Serie schon recht gut ein Profil der Klangkörper wider. Zwei als Entdeckungen anzusehende Werke, eines aus dem frühen 20. Jahrhundert, das andere aus dem 18. sind dabei: Franz Schmidts Das Buch mit sieben Siegeln und Carl Heinrich Grauns Der Tod Jesu. Daneben bereichert der MDR den Plattenmarkt nach Mahlers sechster Sinfonie auch noch um eine Einspielung der fünften. Letzteres ist zweifellos ein streitbares Unterfangen für das Rundfunkorchester. Aber die Auseinandersetzung mit diesem weniger gewichtigen Opus ist weitaus gelungener. Luisi wartet mit einer sehr geraden Sicht auf das legendäre und populäre Werk auf. Dabei entscheidet er sich streckenweise für ausgefallene Tempi. So ist das breite Tempo des Walzers im dritten Satz sicherlich streitbar, aber auch hörenswert. In dieser Aufnahme zeigen sich die Solobläser des Orchesters bestens disponiert, finden die Streicher zu einem außerordentlich transparenten, flirrenden Mahler-Klang.
Am Ende ist diese Platte vor allem ein Dokument der stilistischen Breite der Klangkörper des MDR, das durchaus seinen Platz neben den übrigen Aufnahmen mit selten gespielten Werken hat. Trotzdem: Als Auftakt einer umfassenden MDR-Mahler-Edition sollte man dies besser nicht sehen.
Die Doppel-CD mit Carl Heinrich Grauns Der Tod Jesu gehört nicht nur in den Plattenschrank, weil es sich im weiteren Sinne um eine Entdeckung handelt, sondern ganz besonders, weil diese Entdeckung sich auf künstlerisch höchstem Niveau abspielt, sie einfach exzellent klingt und auch bei mehrfachem Abspielen überaus hörenswert ist. Das liegt nicht zuletzt an Howard Arman und seinem Rundfunkchor, aber auch an einem rundum ausgewogenen Solistenquartett. Der gleichzeitig so schlanke Klang, der diesem Werk der Empfindsamkeit überaus angenehme Züge und die nötige Leichtigkeit verleiht, gepaart mit der Homogenität der streckenweise bewegten Klangmassen macht diesen heute angesichts der Popularität der Bach’schen Passionen weniger vertrauten Umgang mit der Passionsgeschichte zum echten Erlebnis. Und da ist es eben der Vorteil dieser CD, immer das eine auf höchstem Niveau hören zu können, ohne das Vertraute zu missen.
Franz Schmidts Das Buch mit sieben Siegeln zählt mit Sicherheit zu den sperrigeren Werken des frühen 20. Jahrhunderts, nicht nur wegen seiner Länge und Klanggewalt und der eigenwilligen Klangsprache, die sich zwischen den Polen der Süßlichkeit des allerorten bekannten Zwischenspiels seiner Oper Notre Dame und der philosophischen Tiefe einer Auseinandersetzung mit Religion und Religionen der Zeit sowie einer unglaublichen klanglichen Komplexität und Dichte abspielt. Es verlangt auch einen ungeheuren Apparat, und den hat der MDR zu bieten – und Luisi weiß ihn hier bestens zu lenken.
Die Aufnahmen stammen von 1997, 2000 und vom Anfang des Jahres 2004. Mit einem Blick zurück in die Konzertpläne der vergangenen Jahre und einem Blick voraus lassen sich also noch eine ganze Reihe aufregender Bereicherungen des Plattenmarkts von der MDR-Edition erwarten.
Tatjana Böhme-Mehner