Der Thomanerchor und die Universitätskirche St. Pauli Leipzig

Werke von Johann Sebastian Bach, Dimitri Terzakis, Felix Mendelssohn Bartholdy u.a.

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Rondeau ROP4032
erschienen in: das Orchester 02/2011 , Seite 73

Diese CD gilt der Erinnerung an die Leipziger Universitätskirche St. Pauli, die das SED-Regime 1968 sprengen ließ. Um den Wiederaufbau des Gotteshauses hat es in den vergangenen Jahren einen heftigen Streit gegeben. Am Ende stand nicht die originalgetreue Rekonstruktion, sondern der Bau des „Paulinums“, einer Universitätsaula mit Andachtsraum. Zusätzlich wird über der Etzold’schen Sandgrube, wo die Trümmer und Gebeine aus der Kirche abgelagert wurden, eine Gedenkstätte errichtet.
Die Aufnahmen für die CD entstanden größtenteils im Jahr 2009. Es erklingen Werke, die direkt oder indirekt mit der Leipziger Universität und ihrer Kirche in Beziehung stehen. Ideelles Kernstück ist dabei ein Stück des griechischen Komponisten Dimitri Terzakis für Sprecher, gemischten Chor und Orgel: Die Reden Gottes stützen sich auf Texte aus dem alttestamentarischen Hiob-Buch und sind ausdrücklich der „mahnenden Erinnerung an die Sprengung der Leipziger Universitätskirche gewidmet“.
Thomaskantor Biller bezieht im CD-Booklet Position im Wiederaufbau-Streit: „Eine Universität, die Forschung und Lehre betreibt, ist ohne den Glauben nicht denkbar. […] Gerade, wenn wir jetzt nach 20 Jahren die friedliche Revolution feiern, die ja von der Kirche maßgeblich bestimmt war, werden wir daran erinnert.“ Entsprechend beeindruckend ist das breite Spektrum geistlicher Musik, das Thomanerchor, Gewandhausorchester und Solisten auf dem Tonträger entfalten.
Von Johann Sebastian Bach erklingt außer der Motette Der Geist hilft unser Schwachheit auf noch eine wirkliche Rarität: die Trauerode BWV 198 für die sächsische Kurfürstin Christiane Eberhardine. Mendelssohn ist vertreten mit dem 43. Psalm Richte mich, Gott. In Max Regers Choralkantate O wie selig seid ihr doch, ihr Frommen singt die Gemeinde die Choralstrophen mit. Heinz Werner Zimmermanns Motette Wahrlich, ich sage euch von 2008 schließlich ist der Leipziger Theologischen Fakultät zum 600-jährigen Bestehen gewidmet.
Biller lässt durchweg lebendig und beschwingt musizieren. Vor allem Bachs Trauerkantate wirkt in der Abfolge sehr organisch. Bei den A-cappella-Werken sind einige Abstriche zu machen: Die Bach-Motette, vor allem aber der Mendelssohn-Psalm klingen stellenweise atemlos und insgesamt unruhig. Bei den modernen Werken ist das dynamische Spektrum recht schmal. Und nicht immer ist die Textartikulation genügend deutlich. Vielleicht täte den an Hochleistungen gewöhnten Thomanern manchmal etwas weniger Leistungsdruck gut – zugunsten eines entspannteren und reflektierteren Musizierstils.
Andreas Hauff