Wagner, Richard
Der Ring des Nibelungen
7 DVDs
Wagner trifft Mann ein ambitioniertes, über Jahre angelegtes Projekt der alten Hansestadt Lübeck und einiger dort ansässiger Kulturträger, eine Spurensuche rund um die vielfältigen Beziehungen des großen Sohnes der Stadt, Thomas Mann, zu seinem deklarierten Meister Richard Wagner. Eine Lohengrin-Aufführung im Stadttheater Lübeck empfand der 18-Jährige als künstlerisches Kapital-Ereignis, und Wagnersches findet sich allerorten in seinem Werk. Ein berühmtes Beispiel: Die Eröffnungssätze Tief ist der Brunnen der Vergangenheit. Sollte man ihn nicht unergründlich nennen? aus der Tetralogie Joseph und seine Brüder, sie wurden zu Recht in Parallele gesetzt zu jener unergründlichen, 136 Takte umfassenden Aufwallung des Es-Dur-Akkords, mit dem Wagners Rheingold beginnt.
Folgerichtiger Höhepunkt der Lübecker Wagner/Mann-Aktivitäten war somit eine Gesamtaufführung des Ring des Nibelungen, die im Jahr 2011 in zwei Zyklen über die Bühne des ehrwürdigen Lübecker Stadttheaters ging. Dieses Großereignis wurde in Bild und Ton für die vorliegende DVD aufgezeichnet, und man kann alle Beteiligten nur beglückwünschen zu der exzellenten Produktion. Anthony Pilavachi, in den vergangenen Jahren mehrfach für seine Regiearbeiten ausgezeichnet, hat eine schlüssige, die großen Themen Geld, Macht und Gesetz ins Werk setzende Realisierung geschaffen, in der Naturalismen durchaus ihre Existenzberechtigung haben hier gleitet Alberich wirklich noch auf glitschigem Glimmer aus! und die überdies mit einer Fülle psychologisch fein gezeichneter Details, ab Siegfried auch mit mancher Prise Humor aufwartet.
Vor allem leistet diese Inszenierung zwei Dinge, die heutzutage nachgerade unpopulär geworden sind: Sie macht äußere und innere Vorgänge verständlich sichtbar und folgt uneigennützig den wechselnden und doch immer im Fluss bleibenden Pulsschlägen der Musik, der ihr innewohnenden Dramaturgie. Diesbezüglich leisten Lübecks GMD Roman Brogli-Sacher und sein Philharmonisches Orchester Erstaunliches. Nie hören wir Überhitztes noch auch, wie leider oft im Ring, Überdehntes. Stattdessen
einen Orchesterpart, der auf hohem spieltechnischen Niveau und in bester Koordination mit der Regie dem Geschehen stets das angemessene, dramatisch richtige Tempo eingibt. Dirigent und Regisseur weisen im begleitenden Interview darauf hin, dass Wagners im Wesentlichen klar formulierter Notentext bei den Tempi erstaunliche Spielräume offen lässt. Dieses Problem und vieles mehr wird vom Team Brogli-Sacher/Pilavachi glänzend gelöst.
Dies alles wäre indes nur Grundlagenarbeit, hätte man nicht in Lübeck mit viel Sachverstand ein Sängerensemble zusammengestellt, das dieses hohe Niveau mitträgt und maßgeblich über die Rampe bringt. Aus der Vielzahl überwiegend jüngerer, frischer, charaktervoller Stimmen einzelne hervorzuheben, käme an dieser Stelle einer großen Ungerechtigkeit gleich. Ein rundum gelungenes DVD-Produkt!
Gerhard Anders