Wagner, Richard

Der Ring des Nibelungen

Livemitschnitt der Bayreuther Festspiele

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Opus Arte OACD9000BD
erschienen in: das Orchester 03/2010 , Seite 70

Sollte die Welt einst so untergehen, möchten wir gerne dabei sein. Selig versinken im Klangrausch, in den Orchesterfluten, die derzeit kein zweiter wie Christian Thielemann aufzupeitschen versteht. Gewaltig, die Erde verschlingend, und dabei doch immer am menschlichen Maß gemessen, niemals donnerhaft dröhnend wie bei manch einem seiner Kollegen, die es im selbstverlorenen Testosteronrausch gerne mal so richtig krachen lassen und die nun mit kantigem Gesicht und durchaus nicht unlächerlicher Kapellmeisterstrenge nach Altväter Sitte verächtlich aus dem Plattenregal blicken. Nicht nur am Ende von Wagners Ring ist es nur ein kleiner Schritt von der musikalischen Monumentalskulptur hin zu ihrer im Dauerforte dröhnenden Karikatur. Thielemann und das Orchester der Bayreuther Festspiele gehen, eigentlich müsste man sagen: tanzen diese Gratwanderung auf atemberaubende, höchst musikalische Weise und ohne Fehltritt die gesamten knapp 15 Ring-Stunden (für pedantische Stundenglaszähler: 14 Stunden und 56 Minuten sind es genau). Es ist eine der schönsten Eigenschaften dieses Dirigats, dass es sich der kleinen, versteckten musikalischen Figuren mit ebensolcher Hingabe annimmt wie den vordergründigen, den traumhaft souverän gelenkten und kanalisierten, den Gesamtfluss prominent dominierenden. Und dass all dies und damit das Ganze zugleich mit einer so individuellen Prägung und in ganz eigener Handschrift gestaltet ist, die nicht weniger überzeugend wie ganz anders daherkommt als alle anderen Ring-Exegesen, die man derzeit noch hören kann, ist es, was diese Lesart so einzigartig macht. Was Christian Thielemann hier mit dem grandiosen Orchester der Bayreuther Festspiele zustande gebracht hat, ist nicht weniger als ein großer künstlerischer Wurf.
Weit weniger gelungen ist dagegen der offenkundige Versuch, die besondere Akustik im Bayreuther Festspielhaus einzufangen, wo dieser Ring als Livemitschnitt im Sommer 2008 aufgenommen wurde. Mit einiger Imaginationskraft vermag man sich in die Mitte des hölzernen Hochparketts versetzen und sich erinnert fühlen an das echte Klangerlebnis. Für Sekunden gelingt es auch, ist das Festspielhaus um einen präsent, doch kaum, dass man dem Klang genauer nachhorchen will, ist es auch schon wieder weg, eine bloße Erinnerung. Was bleibt ist eine klingende Kostbarkeit, die nur aus der Ferne, wie durch einen Vorhang ans Ohr dringt, der aber eben nicht gleichzusetzen ist mit der Abdeckelung des Orchestergrabens in Bayreuth. Hier ist der Klang zwar auch nicht so unmittelbar wie in einem Haus mit offenem Graben, aber deswegen doch nicht ein My weniger präsent und prägnant. Auf der vorliegenden Aufnahme leider schon.
Die Sängerbesetzung, auch wenn man sich inzwischen einigermaßen an sie gewöhnt hat, ist und bleibt nichts für echte Stimmenliebhaber. Eva-Maria Westbroek als Sieglinde, Kwangchul Youn als Hunding, Hans-Peter König als Hagen sind noch die Besten im Bunde, auch Stephen Gould (Siegfried) hat wunderbare Momente und Töne, doch lässt die Hörfreude mit dem mehr grundsoliden als superben Albert Dohmen als Wotan und der mehrfach sich ordentlich mühen müssenden Linda Watson als Brünnhilde schon deutlich nach.
Ulrich Ruhnke