Burkhardt, Johannes

Der Rhein ist die Elbe

Richard Wagners wahre Welten

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Mitteldeutscher Verlag, Halle 2013
erschienen in: das Orchester 10/2013 , Seite 63

Welcher Fluss diente Richard Wagner als Vorbild, als er das Rheingold schuf? Der versierte Autor Johannes Burkhardt beweist mit profunder Sachkenntnis, dass dies die sächsisch-böhmische Elblandschaft war. Das Gefühl der „verlorenen Zeit“ spiegelte sich dann in der Ring-Struktur wider. Die zentrale und interessanteste Frage dieses Buchs lautet zweifellos: Warum spielt der Ring am Rhein? Burkhardt meint, dass dies mit der Entstehung der Tetralogie zusammenhängt. Im mittelhochdeutschen Epos setzt die höfische Handlung ausdrücklich in Worms am Rhein ein. Wagner hat den Flussnamen aus seiner ersten Vorlage übernommen – seine Gibichungen-Halle befindet sich ebenfalls am Rhein. Laut Burkhardt hat sich Wagner den Flussnamen vom Nibelungenlied ausgeliehen. Überwiegend stammt die Geschichte aber aus der altnordischen Überlieferung der Edda. So kommt man Richard Wagners wahren Welten am besten auf die Spur.
Johannes Burkhardt, Professor für Kulturgeschichte an der Universität Augsburg, weist auch kenntnisreich darauf hin, dass es bereits einen umfangreichen Rhein-Kult gab, als Richard Wagner sich mit dem für ihn so wichtigen Nibelungen-Stoff beschäftigte. Der Elbe hatten sich zu Wagners Lebzeiten bereits 25 Reiseführer gewidmet, dem Rhein aber 120. Dies ist bemerkenswert – und Burkhardt weist nach, inwiefern man eine nationale und eine demokratische Rhein-Nutzung unterscheiden konnte. Erinnert sei hier auch an Heinrich Heine als einem guten Bekannten Wagners, von dem er den Holländer-Stoff übernahm. Bei Heine fühlt sich „Vater Rhein“ deprimiert und kompromittiert – Deutschland. Ein Wintermärchen ist auch eine drastische Anspielung auf das „Rheinlied“. Der Rhein wurde immer wieder zur Zielscheibe satirischen Spotts der Intellektuellen. Der Fluss war damals nicht nur national, sondern vor allem auch politisch von großer Bedeutung. Zum Glück würzt Burkhardt den aufschlussreichen Band mit einem Hinweis auf den sagenhaften Rheinschatz.
Noch besser gelungen ist Kapitel 7 mit einem dezenten Hinweis auf „die wahre Welt des Rings“. Burkhardt hält zuvor detailliert fest, dass die Schweizer Bergbesteigung die Höhenlage des Rings gegenüber der Elblandschaft entscheidend steigerte – so ergaben sich interessante Ausblicke in Zukunft und Vergangenheit. Die verlorene Vergangenheit und die unvorhersehbare Zukunft waren laut Burkhardt verschieden. Auf dieser Grundlage habe sich das individuelle Werk Richard Wagners inmitten der verzeitlichten Gesamtkultur entwickelt. Entscheidend sei dabei das „Erinnerungsgepäck aus dem sächsischen Vorleben“ gewesen.
Noch aufschlussreicher ist laut Burkhardt die facettenreiche Entstehungsgeschichte von Wagners Rheingold. Hier hat die Flusserfahrung der Elbe mit dem Urklang der Dampfschiffe, den Wasserspiegelungen der Elbschwestern und den jugendlichen Begegnungen auf Bäderreisen eine entscheidene Rolle gespielt, so der Autor. Fazit: Die Erinnerung an die „verlorene Zeit“ findet sich in der Ring-Struktur wieder.
Alexander Walther