Steinke, Gerhard / Gisela Herzog

Der Raum ist das Kleid der Musik

Musik-Aufnahmesäle und Hörspielstudios im Funkhaus Berlin-Nalepastraße sowie weitere Aufführungs- und Hörräume. Raumakustische Eigenschaften, aufnahmetechnologische Bedingungen

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Kopie & Druck Adlershof, Berlin 2012
erschienen in: das Orchester 12/2013 , Seite 70

Bei Räumen für Musik steht häufig die optische Gestaltung und die Originalität der Fassade im Mittelpunkt. Dabei ist es die Akustik bzw. „das Kleid der Musik“, so Kurt Blaukopf in seiner 1956 erschienenen Hexenküche der Musik, welche das musikalische Erlebnis bestimmt und künstlerische Höchstleistungen ermöglicht, wenn sich Musiker akustisch wohlfühlen. Heute entstehen Musikaufnahmen nicht zuletzt aus ökonomischen Gründen oft live in Konzertsälen, in der Vergangenheit im Studio. Die Rundfunkanstalten haben viel Zeit und Geld in den Bau und die Optimierung solcher Räumen investiert.
In der DDR war der zentrale Ort das „Funkhaus Nalepastraße“, ein inzwischen denkmalgeschützter Komplex am Ufer der Spree in Berlin-Köpenick mit vier Aufnahmesälen zur Musikproduktion und zwei Hörspielkomplexen nebst Studioräumen. Der große Sendesaal mit üppigen 12300 Quadratmetern gilt als einer der besten weltweit, was durch fachkundige Urteile belegt wird. In der jüngeren Zeit hat Daniel Barenboim dort Opern eingespielt und jüngst Lang Lang ein Chopin-Album.
Gerhard Steinke, Jahrgang 1927, bis heute eine zentrale Persönlichkeit im Bereich der Musikproduktion und Akustik und „Vater“ des wegweisenden Beschallungskonzepts der „Delta-Stereofonie“, hat als Fachbetreuer seit 1955 die Ausgestaltung des Aufnahmekomplexes im Funkhaus Nalepastraße verantwortet.
Gemeinsam mit Gisela Herzog hat er umfangreiches Material zur Geschichte des Funkhauses sowie zu baulichen Maßnahmen der Aufnahme- und Produktionsstudios zusammengetragen. Angereichert mit zahlreichen Fotos, Schaltplänen, Bauzeichnungen etc. kann man als Leser ein halbes Jahrhundert Geschichte der Studiotechnik Revue passieren lassen und erfährt, mit welchem Aufwand in der vor-digitalen Zeit um mechanische Maßnahmen zur Veränderung der Raumakustik gerungen wurde. Auch Kuriositäten werden geschildert, wie ein unvollendet gebliebenes Quartett-Trautonium.
Dieser historische Abriss umfasst etwa zwei Drittel des Buchs und ist eine Fundgrube für alle an Raumakustik und Tonstudiotechnik interessierten Leser. Die Farbqualität der Abbildungen ist angesichts des historischen Materials verzeihlich. Bedauerlich ist allerdings der bisweilen wenig geschmeidige Erzählstil und das unruhige Layout. Ein zusätzliches Lektorat, um auch die Kanten verschiedener Textschichten zu glätten und den Text zu straffen, hätte gut getan.
Der Anhang, das dritte Drittel des Buchs, versammelt Artikel allgemeiner Natur. Steinke gibt Tonmeistern wie Musikern hier prägnant wichtige Hinweise zur Raumakustik an die Hand, zu den akustischen Unterschieden zwischen Aufnahmestudios und Konzertsälen, zu Besonderheiten des Nachhalls bewährter Aufnahmeorte in Berlin, Leipzig, Dresden, aber auch Sydney und Tel Aviv, zur Mehrkanal-Aufnahme und zur Orchesteraufstellung. In einem Gastbeitrag befasst sich Peter Burkowitz mit den Veränderungen der Hörwahrnehmung in Aufnahmeräumen. Die Lektüre dieses Anhangs dürfte für jeden Orchestermusiker von Gewinn sein und wertvolle Tipps für die Praxis liefern.
Peter Overbeck