Strauss, Garbiele / Barbara Wunderlich (Hg.)

Der Patriarch

Richard Strauss und die Seinen, mit DVD

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Arthaus, Halle 2014
erschienen in: das Orchester 06/2015 , Seite 69

Der Nachlass von Richard Strauss umfasst zehntausende Fotos, Tagebucheinträge, Briefe und Noten. Dieses Archiv betreut Gabriele Strauss-Hotter, die Ehefrau des Strauss-Enkels Richard. Zusammen mit der Archivarin Barbara Wunderlich hat sie nun eine kleine Auswahl der Dokumente in Buchform aufbereitet.
Beide Herausgeberinnen haben große Sänger zum Vater: Hans Hotter und Fritz Wunderlich. Kein Wunder, dass ihre Auswahl den Opernkomponisten Strauss gegenüber dem Sinfoniker in den Vordergrund rückt. Auch die beiliegende DVD Skizze eines Lebens betrachtet eher die Seite
seines Bühnenschaffens. Regisseurin Marieke Schroeder führte Interviews mit den Strauss-Interpretinnen Inge Borkh und Brigitte Fassbaender, die sie in der vom Komponisten persönlich eingerichteten Villa in Garmisch traf.
Ein umfangreiches Buchkapitel informiert zudem über wichtigste Strauss-Frauenrollen und ihre Interpretinnen – von Lotte Lehmann bis zu Elisabeth Schwarzkopf. Stellenweise kommt es hier zur „Fachsimpelei“ über historische Tonaufnahmen – was mit der ansonsten eher unterhalt-
samen Ausrichtung des Buchs kontrastiert.
Im Zentrum steht nämlich eher die Person Strauss, in deren Privatleben etliche der rund zweihundert Fotos Einblick geben. Man erblickt Strauss im gestreiften Badeanzug, beim Rodeln oder Eislaufen. Das erinnert manchmal an die Schlüsselloch-Story einer Klatschzeitschrift. Dazu passen auch die anekdotenreichen Interviews mit dem Strauss-Enkel Christian, der von seines Großvaters Leidenschaft für Skat und Burgunderwein berichtet.
Ein weiteres Kapitel beleuchtet die Geschäftstüchtigkeit des dirigierenden Komponisten. So erwarb Strauss das Grundstück für seine Wiener Villa in bester Lage im Tausch gegen hundert Dirigate an der Wiener Staatsoper und die Urschrift des Rosenkavalier. Ein Abdruck der ersten Seite zeigt die feine, fröhlich geschwungene Handschrift des Meisters.
Die Dokumente vermitteln den Eindruck einer akribisch planenden Persönlichkeit: Eine Opernpartitur nahm Strauss ebenso systematisch in Angriff wie die Errichtung eines Hauses. In bester Patriarchen-Manier plante der Komponist sogar über den Tod hinaus und bestimmte die Verwaltung seines Nachlasses. Schwiegertochter Alice kam 1951 die Aufgabe zu, das Familienarchiv aufzubauen. Vierzig Jahre später übernahm Gabriele Strauss-Hotter dessen Verwaltung.
Nur ein Teil des hier kurzweilig ausgebreiteten biografischen Materials ist für das Verständnis von Strauss’ Musik im engen Sinne relevant. Erhellend sind vor allem die Tagebucheinträge über die Opern. Zum hinlänglich untersuchten Verhältnis des Komponisten zum Nationalsozialismus steuert das Buch eine pikante Fußnote bei: Abgedruckt ist Strauss’ Briefwechsel mit seinem (jüdischen) Librettisten Stefan Zweig, der sich weigerte, im Hitler-Deutschland zu arbeiten. Der Komponist empfiehlt ihm jedoch, sich über „politische Moden“ zu erheben.
Antje Rößler