Rosendorfer, Herbert
Der Meister
Roman
Zahlreiche Fälscher und Hochstapler bevölkern die Literatur. In Thomas Manns Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull, Wolfgang Hildesheimers Paradies der falschen Vögel oder Umberto Ecos jüngstem Roman Der Friedhof in Prag stehen Figuren im Mittelpunkt, die sich die Formel mundus vult decipi (Die Welt will betrogen sein) aus Sebastian Brants Narrenschiff zur Devise gemacht haben. Wie schon in früheren Romanen erzählt auch der 1934 geborene Herbert Rosendorfer, Richter, Musikwissenschaftler und Autor zahlreicher Romane, Theaterstücke, Fernsehspiele, Libretti, Reiseführer und Essays, in Der Meister eine Geschichte von Lug und Trug.
Der göttliche Giselher, Typus des weltfremden Wissenschafts-Schwadroneurs, und der neunmalkluge Meister, mit bürgerlichem Namen Thomas Wibesser, in dessen Namen der Besserwisser schon enthalten ist, sind zwei Musikwissenschaftler, alle beide schräge Vögel: Wibesser schreibt Artikel für ein Musiklexikon und nimmt es dabei irgendwann mit der Wahrheit nicht mehr so genau. Er erfindet einen Komponisten namens Thremo Tofandor, der, wie man im akademischen Jargon sagen würde, sofort zum heißdiskutierten Gegenstand der Forschung wird. Diese Wissenschaftsente bringt ihren Erfinder sofort ziemlich in die Bredouille und, nach immer feinerem Ausspinnen der Biografie des Wiederentdeckten, schließlich sogar dazu, Tofandors Werke komponieren zu müssen. Der erfundene Komponist ist zum Selbstläufer geworden, und der Meister steckt einerseits in der Falle, kann sich aber andererseits auch als größter Experte auf dem so unerforschten wie verminten Gebiet inszenieren. Glücklich ausgehen, so viel sei hier verraten, wird die Sache nicht.
Was Rosendorfer hier in einer langen Rückblende im Rahmen eines Treffens zweier alter Herren in Venedig erzählt, ist eine reine Satire auf den geistes-, insbesondere musikwissenschaftlichen akademischen Betrieb und dessen Verliebtheiten ins Abseitige und theoretisch Verstiegene. Die gelegentlich groteske Blüten treibende Sehnsucht nach bahnbrechenden neuen Erkenntnissen, die jeden Wissenschaftler mal mehr, mal weniger umtreiben dürfte, wird gründlich aufs Korn genommen. Man darf in dem Ich-Erzähler außerdem ein Alter Ego des Autors erkennen, denn Rosendorfer thematisiert mit dem Roman auch ein Kapitel aus seinem eigenen Leben. Wie der Meister hat auch er mit seinem Freund, dem Musikwissenschaftler Karl Betz, einen Komponisten erfunden: Dieser fiktive Otto Jägermeier fand Eingang in zahlreiche musikwissenschaftliche Publikationen (Riemann Musiklexikon, Ergänzungsband 1972
).
So weit, so amüsant. Bei aller Eleganz und aller Leichtigkeit der Dialoge treibt der Spott im Text manchmal wilde Blüten. Die Polemik gegen Adornos Gesellschaftskritik etwa nähert sich zu sehr dem Ressentiment, um ungetrübt witzig zu sein. Davon abgesehen dürften sich aber nicht nur die Leser mit Mindestabstand zur Musikwissenschaft über weite Strecken von diesem Roman geistreich unterhalten fühlen.
Beate Tröger